Darum geht es:
In einer Studie an Ratten ist ein Forscherteam unter maßgeblicher Beteiligung des Ramazzini-Instituts in Bologna/Italien der Frage nachgegangen, ob der Pflanzenschutzmittelwirkstoff Glyphosat in vergleichsweise niedriger Langzeitdosierung das Entstehen von Krebs bei den Nagetieren fördern kann. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass dies der Fall ist (Panzacchi et al.kurz füret alii (lat. "und andere"), „Carcinogenic effects of long-term exposure from prenatal life to glyphosate and glyphosate-based herbicides in Sprague-Dawley rats”, Environmental Health (2025) 24:36, Externer Link:https://doi.org/10.1186/s12940-025-01187-2).
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung) hat die Untersuchung in einer ersten Analyse geprüft – insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob die Studie die bisherige Bewertung von Glyphosat in Frage stellt.
Ergebnis: Aufgrund ihres Designs ist die Studie mit den vielen bislang schon vorliegenden Langzeitstudien zu Glyphosat nur sehr begrenzt vergleichbar. Daher kann sie deren Ergebnisse auch nicht widerlegen. Die in Panzacchi et al.kurz füret alii (lat. "und andere") (2025) publizierten Befunde verlangen eine detaillierte Analyse. Dazu müssen die Rohdaten zugänglich gemacht und die historischen Kontrolldaten angemessen ausgewertet werden.
Nach Auffassung des BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung begründet die Studie keine Änderung der Bewertung des Wirkstoffes Glyphosat. Die Berichterstattung zur aktuellen Bewertung von Glyphosat durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (veröffentlicht im EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) Journal 2023; 21(7): 8164) erfolgte durch die Mitgliedstaaten Frankreich, Ungarn, die Niederlande und Schweden. Im Sinne einer harmonisierten Berücksichtigung der Studie von Panzacchi et al.kurz füret alii (lat. "und andere") (2025) begrüßt das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung daher eine Analyse der Studie auf der EU-Ebene.
Bei der Publikation handelt es sich um die Beschreibung einer Langzeitstudie an Ratten mit dem Wirkstoff Glyphosat (Wirkstoff-Reinheit: 99 %, entspricht vermutlich nicht vollständig dem technischen Wirkstoff, der in Pflanzenschutzmitteln verwendet wird) sowie zwei Glyphosat-haltigen Pflanzenschutzmitteln.
Die Studie ist Teil eines größeren Forschungsprogramms, das das italienische Ramazzini-Institut im Jahr 2019 aufgelegt hat. Das Ziel der jetzt veröffentlichten Untersuchung war es, das kanzerogene Potential des Wirkstoffes Glyphosat und den beiden Glyphosat-haltigen Pflanzenschutzmitteln (PSM) nach Langzeitverabreichung an Ratten in Dosierungen zu untersuchen, die sich der realen Humanexposition zumindest annähern sollen.
Das Studiendesign kann folgendermaßen beschrieben werden:
- Glyphosat wurde in Dosierungen von 0,5 mgkurz fürMilligramm/kgkurz fürKilogramm Körpergewicht (kgkurz fürKilogramm) pro Tag (ADIkurz fürAcceptable Daily Intake (akzeptable tägliche Aufnahmemenge)ADIkurz fürAcceptable Daily Intake (akzeptable tägliche Aufnahmemenge) - Acceptable Daily Intake (akzeptable tägliche Aufnahmemenge)Zum Glossareintrag, engl. Acceptable Daily IntakeADIkurz fürAcceptable Daily Intake (akzeptable tägliche Aufnahmemenge) - Acceptable Daily Intake (akzeptable tägliche Aufnahmemenge)Zum Glossareintrag – akzeptable tägliche AufnahmemengeADIkurz fürAcceptable Daily Intake (akzeptable tägliche Aufnahmemenge) - Acceptable Daily Intake (akzeptable tägliche Aufnahmemenge)Zum Glossareintrag, in der EU), 5 mgkurz fürMilligramm/kgkurz fürKilogramm KG/d und 50 mgkurz fürMilligramm/kgkurz fürKilogramm KG/d über das Trinkwasser ab dem 6. Trächtigkeitstag an trächtige weibliche Ratten (F0-Generation) verabreicht. Die Konzentrationen der PSM wurden so angepasst, dass in etwa vergleichbare Glyphosatdosierungen erreicht wurden.
- Nach der Geburt der Nachkommen (F1-Generation) wurden die Muttertiere bis zum Ende der Laktation (üblicherweise Tag 21) weiter behandelt, dann aus dem Versuch genommen und anscheinend nicht weiter untersucht.
- Nach einem nur fragmentarisch beschriebenen Zufallsverfahren wurden aus den F1-Nachkommen jeweils 51 männliche und 51 weibliche Ratten pro Prüfsubstanz (Glyphosat oder PSM) und Dosis ausgewählt, die dann über maximal 104 Wochen (ca. 2 Jahre) über das Trinkwasser weiter behandelt worden. Eine gleich große Kontrollgruppe rekrutierte sich aus 51 männlichen und 51 weiblichen F1-Tieren, die ebenso wie ihre Mütter unbehandeltes Trinkwasser erhielten.
- Bei diesem Versuchsdesign ist von einer sequentiellen ExpositionExpositionZum Glossareintrag der F1-Tiere über verschiedene Pfade und in allen Entwicklungsstadien auszugehen: in utero, postnatal über die Milch (ein nach den hier vorliegenden Informationen eher zu vernachlässigender Aufnahmeweg), und vor allem über das Trinkwasser.
- Am Versuchsende wurden die zu dem Zeitpunkt noch lebenden Tiere getötet, seziert und eine große Zahl ihrer Organe histopathologisch vor allem auf neoplastische Veränderungen (Tumoren) untersucht. Dabei kamen auch immunhistochemische Methoden zur Anwendung. Es ist anzunehmen, wenn auch nicht explizit vermerkt, dass so auch mit denjenigen Tieren verfahren wurde, die zwischenzeitlich gestorben sind oder aufgrund ihres Gesundheitszustandes vorzeitig getötet werden mussten.
- Während des Versuches wurden die Tiere offenbar regelmäßig hinsichtlich des Auftretens von klinischen Zeichen einer Toxizität beobachtet, in nicht näher definierten Abständen gewogen und es wurde offenbar auch die Höhe ihrer Futteraufnahme bestimmt.
Während sich die Behandlung mit dem Wirkstoff Glyphosat und den beiden Glyphosat-haltigen PSM laut Panzacchi et al.kurz füret alii (lat. "und andere") (2025) weder auf das Wohlbefinden der Tiere noch auf die Sterblichkeit, die Futteraufnahme oder die Körpergewichtsentwicklung auswirkten, wurden zahlreiche Tumoren festgestellt. Diese Tumoren stammen aus den unterschiedlichsten Organen und Organsystemen. Die Auswertungen fokussieren sich dabei stark auf Leukämien und Lymphome. In den mit Glyphosat behandelten Gruppen wurden Neoplasien in geringer Anzahl (1 - 2) beobachtet. Da die InzidenzInzidenzZum Glossareintrag in der Kontrollgruppe stets 0 war, ergibt sich für einige der leukämischen Erkrankungen - noch mehr aber bei ihrer Kombination - ein statistisch signifikanter Anstieg. Dieser ist jedoch kaum als dosisabhängig zu beschreiben, was insgesamt eher gegen einen Bezug zur Behandlung spricht. Hinweise auf eine Dosisabhängigkeit gibt es dagegen bei lymphoblastischen Leukämien und Myelomen für die beiden PSM. Hinweise auf einen leukämischen Effekt ergeben sich darüber hinaus aus dem Zeitpunkt des Auftretens dieser Neoplasien, d. h. ihres erstmaligen Nachweises bei zwischenzeitlich verstorbenen Tieren.
Auch gut- und bösartige Tumoren der Haut wurden selten in den behandelten, aber eben nicht in der Kontrollgruppe beobachtet. Auch hier fehlt ein klarer Dosisbezug. Ähnliches gilt für Tumoren der Schilddrüse, der Bauchspeicheldrüse oder des Knochengewebes.
Es gibt einige gravierende Unterschiede im Studiendesign zu den Guideline-konformen Untersuchungen, die im Genehmigungsverfahren für PSM-Wirkstoffe gefordert sind und von denen für den Wirkstoff Glyphosat eine große Anzahl durchgeführt worden sind. Die Unterschiede erschweren sowohl die Interpretation der Ergebnisse als auch die Vergleichbarkeit der Studien.
- Verabreichung über das Trinkwasser: Dieses Vorgehen ist möglich, wird jedoch nur in begründeten Fällen durchgeführt (da in der Regel für den Menschen kein realistischer Aufnahmepfad). Die vorliegenden Langzeitstudien mit Glyphosat sind nach Kenntnis des BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung mit einer Ausnahme alle mit Verabreichung über die Nahrung durchgeführt worden. Es ist unbekannt, ob die Verabreichung im Trinkwasser eine Auswirkung auf die Bioverfügbarkeit und damit auf die innere (systemische) Exposition hat.
- Durchführung der Langzeitstudie an Tieren, die bereits in utero und dann während der Laktation exponiert waren: Ein solches Studiendesign ist schon vor Jahrzehnten diskutiert worden, hat sich aber nicht durchgesetzt. Die Vergleichbarkeit mit regulatorischen Langzeitstudien ist daher eingeschränkt.
- In der aktuellen Studie wurden keine Blut- und Urinuntersuchungen durchgeführt, die Hinweise auf den Gesundheitszustand der Tiere und eine mögliche chronische Toxizität liefern könnten. Es gibt keine Mitteilungen über nicht-neoplastische Befunde.
- Dosiswahl: Im Vergleich zu fast allen anderen Langzeitstudien mit Glyphosat sind sehr niedrige Dosierungen geprüft worden. In dem BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung vorliegenden Studien waren Dosierungen von um die 1000 mgkurz fürMilligramm/kgkurz fürKilogramm KG pro Tag einbezogen. Die von Panzacchi et al.kurz füret alii (lat. "und andere") (2025) beschriebenen Effekte waren bei den hohen Dosierungen der früheren Langzeitstudien nicht zu beobachten. Die Verwendung von höheren vergleichbaren Dosierungen wäre sinnvoll gewesen.
- Historische Kontrolldaten: Die angeführte Referenz Nr. 31 enthält keine historischen Kontrolldaten des Ramazzini-Instituts. Der Umgang mit den historischen Kontrolldaten aus dem National Toxicology Programme (NTP, Referenz 30) ist mindestens insofern zu hinterfragen, als dass lediglich durchschnittliche Häufigkeiten, aber nicht die Variabilität zwischen den Studien berichtet wird. So beträgt z. B. die Leukämie-Inzidenz in männlichen NTP-Kontrollgruppen bis zu 6 % (in weiblichen Harlan SD Ratten bis 4 %). Dies relativiert die Befunde von Panzacchi et al.kurz füret alii (lat. "und andere") (2025) (max. 1,96 % Leukämien in den Glyphosat-behandelten Dosisgruppen M/F) und verlangt nach einer angemesseneren statistischen Betrachtung.
Weitere Informationen zum Thema Glyphosat
Im Jahr 2022 erfolgte eine Gefahrenbewertung von Glyphosat durch die Europäische Chemikalienagentur (ECHAkurz fürEuropäische Chemikalienagentur). Sie kam zu dem Schluss, dass Glyphosat die wissenschaftlichen Kriterien für die Einstufung als krebserzeugender, erbgutverändernder oder fortpflanzungsgefährdender Stoff nicht erfüllt:
Externer Link:https://echa.europa.eu/hot-topics/glyphosate
Im Rahmen der im Jahr 2023 abgeschlossenen erneuten EU-Bewertung zum Wirkstoff Glyphosat gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 sind alle am Verfahren beteiligten Bewertungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten sowie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)) zu dem Schluss gelangt, dass es keinen gesicherten Zusammenhang zwischen einer Glyphosatexposition und einem erhöhten Risiko für Krebserkrankungen gibt:
Externer Link:https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2023.8164