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Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Folsäure noch immer ungenügend

10/2000, 08.06.2000

Folsäuremangel ist besonders problematisch bei Frauen im gebärfähigen Alter, da dieses Vitamin Neuralrohrdefekte verhindern kann

Die Versorgung der deutschen Bevölkerung mit Folsäure ist noch immer mangelhaft. Das stellten Experten in einem Fachgespräch zum Thema "Notwendigkeit der Verbesserung von Maßnahmen zur Prävention von Neuralrohrdefekten" am 8. Mai 2000 im BgVV klar.

Nach Meinung von Ernährungs-Fachleuten liegt bei Kindern ab 10 Jahren und bei Erwachsenen der tägliche Bedarf an Folsäure (Folaten) aus Lebensmitteln bei 400 µg. Dieser Bedarf wird bei der in Deutschland üblichen Ernährung mit durchschnittlich ca. 200 µg Folat nicht erreicht. Bei einem Mangel an Folsäure scheint das Risiko der Entstehung von Arteriosklerose sowie das Risiko der Entwicklung bestimmter Krebsarten zu steigen. Eine wissenschaftliche Absicherung durch Interventionsstudien am Menschen steht allerdings noch aus.

Folsäure in ihren verschiedenen Formen (Folaten) spielt eine wichtige Rolle in der Bildung und Stabilität von Nucleinsäuren, die die Erbinformationen tragen. Das Vitamin ist daher an allen Zellteilungs- und Wachstumsprozessen und darüber hinaus am Eiweißstoffwechsel beteiligt. Der Körper selbst kann Folsäure nicht bilden. Sie muss mit der Nahrung (oder über Supplemente) dem Organismus zugeführt werden. Mit einer ausgewogenen Ernährung, die besonders reich an Obst und Gemüse ist, könnte der Folatbedarf gedeckt werden.

Ein besonderes Problem stellt die Situation von Frauen im gebärfähigen Alter dar, die einen konkreten Kinderwunsch hegen oder eine Schwangerschaft nicht durch Verhütungsmaßnahmen ausschließen wollen. Studien haben gezeigt, dass durch eine zusätzliche Einnahme von Folsäure als Supplement das Risiko von Fehlbildungen beim ungeborenen Kind um 40 -70% verringert werden kann. Es handelt sich bei diesen Fehlbildungen um schwerwiegende Neuralrohrdefekte wie Spina bifida (offener Rücken). Jährlich werden in Deutschland rund 800 bis 1600 Schwangerschaften diagnostiziert, bei denen ein Neuralrohrdefekt beim ungeborenen Kind vorliegt. Etwa ein Drittel dieser Kinder werden geboren und sind oftmals trotz optimaler chirurgischer Versorgung schwerstens behindert. In ungefähr zwei Dritteln der Fälle wird nach der Diagnose eines Neuralrohrdefektes die Schwangerschaft abgebrochen.

Neuralrohrdefekte treten sehr früh in der Entwicklung des Embryos auf (zwischen dem 22. und 28. Tag nach Empfängnis). Zu diesem Zeitpunkt wissen viele Frauen noch nicht, dass sie schwanger sind. Frauen im gebärfähigen Alter sollten deshalb zusätzlich zu den in der Nahrung enthaltenen Folaten 400 µg Folsäure als Supplement zu sich nehmen, um die durch dieses Vitamin beeinflussbaren Neuralrohrdefekte und andere Fehlbildungen zu verhindern. Diese bereits 1995 ausgesprochene Empfehlung der ärztlichen Fachgesellschaften wird nach vorliegenden Erhebungen häufig nicht weitergegeben und daher von weniger als zehn Prozent der betroffenen Frauen befolgt.

Das BgVV ist deshalb zusammen mit den zuständigen Fachgesellschaften der deutschen Ärzteschaft, den Verbraucherverbänden, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bestrebt, nach Wegen zu suchen, durch welche die Folat- bzw. Folsäureversorgung der Bevölkerung verbessert werden kann. An erster Stelle steht dabei, wie die Prävention von Neuralrohrdefekten durch die zusätzliche Folsäureeinnahme intensiver betrieben werden kann.

Belegt ist der positive Effekt einer zusätzlichen Einnahme von Folsäuretabletten. Um das Risiko der Entwicklung von Neuralrohrdefekten deutlich zu senken ist es deshalb nach Meinung des BgVV dringend nötig, durch eine breit angelegte Kampagne die Gruppe der Frauen, die sich Kinder wünschen oder eine Schwangerschaft nicht bewusst ausschließen, zur zusätzlichen Einnahme von Folsäure zu bewegen. In diese Kampagne sind Gynäkologen, Schulen, Frauenverbände und Beratungsstellen des öffentlichen Gesundheitsdienstes einzubeziehen. Sie sollte in das Aktionsprogramm der Gesundheitsreform 2000 der Bundesregierung eingebettet sein.

Eine weitere Möglichkeit ist die Anreicherung von Grundnahrungsmitteln wie Mehl mit Folsäure. Einige Länder wie die USA und Kanada haben diesen Weg bereits gewählt. Allerdings gibt es derzeit noch keine Studien, die die Wirksamkeit dieser Maßnahme im Hinblick auf die Verhinderung von Neuralrohrdefekten belegen.

Aus diesem Grunde sollten zusätzlich die notwendigen Daten erhoben und in Modellrechnungen überprüft werden, ob eine Folsäureanreicherung von Mehl auch in Deutschland ein erfolgversprechender und sicherer Weg ist, das Ziel der Verminderung von Neuralrohrdefekten zu erreichen. Dieser Weg wäre dann eine Alternative, falls die Prophylaxe über die Einnahme von Folsäuretabletten in Deutschland nicht verbessert werden kann. Die Experten schlagen die Einrichtung eines Arbeitskreises "Folsäure" vor, der die Studien begleiten und koordinieren sollte.

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