Rund 80 % der Männer und 40 % der Frauen in der europäischen Bevölkerung teilen ein Schicksal: Sie verlieren früher oder später ihr Haupthaar. Bei der androgenetischen Alopezie liegen sie weltweit an der Spitze. So heißt die ererbte, durch eine übermäßige Reaktion auf männliche Hormone bedingte Glatzenbildung. Bei Männern kann der vorwiegend genetisch bedingte und durch die Überempfindlichkeit der Haarwurzel gegenüber dem Hormon Dihydrotestosteron verursachte Haarverlust schon kurz nach der Pubertät beginnen. Bei Frauen setzt er meist erst nach den Wechseljahren ein. Ein Schicksal, dem viele Betroffene durch allerlei Mittel vom Shampoo über Haarwässer bis hin zu einer besonderen Ernährung und der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln zu entgehen hoffen.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung) hat wissenschaftlich bewertet, ob Menschen mit androgenetischer Alopezie aus medizinischer Sicht zusätzliche Nährstoffe benötigen und folglich eine besondere Form der Ernährung dem Haarausfall entgegenwirken könnte.
Ergebnis: Nach Durchsicht der wissenschaftlichen Studien kann das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung keine besonderen Ernährungsanforderungen für diese Personengruppe feststellen. Ein zusätzlicher Bedarf an Nährstoffen besteht bei der androgenetischen Alopezie nicht. Eine ausgewogene Ernährung mit u. a. ausreichend Proteinen, Vitaminen, Mineralstoffen und antioxidativen Substanzen reicht aus.
1 Gegenstand der Bewertung
Das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung hat eine Stellungnahme zu der Frage erarbeitet, ob Patienten mit androgenetischer Alopezie einen über eine ausgewogene Ernährung hinausgehenden medizinisch bedingten Nährstoffbedarf aufweisen.
2 Ergebnis
Nach aktuellem wissenschaftlichem Kenntnisstand kann das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung für Patienten mit androgenetischer Alopezie keinen sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf bzw. keine besonderen Ernährungsanforderungen identifizieren, die nicht durch eine Modifizierung der normalen Ernährung abgedeckt werden könnte. Sie benötigen demnach keine Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke.
Allgemein kann ein Nährstoffmangel sowohl die Haarstruktur als auch das Haarwachstum beeinträchtigen. Aus diesem Grunde ist eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung mit u. a. ausreichend Proteinen, Vitaminen, Mineralstoffen und antioxidativen Substanzen in jedem Fall für Patienten mit androgenetischer Alopezie zu empfehlen, um einer Unterversorgung mit Makro- und Mikronährstoffen vorzubeugen. Darüber hinaus gibt es keine überzeugenden Beweise, dass bei adäquater Nähstoff-Versorgung ein Bedarf an zusätzlichen Nährstoffen besteht.
3 Bewertung
3.1 Charakterisierung der Zielgruppe - Patienten mit androgenetischer Alopezie
Die androgenetische Alopezie, auch als erblich bedingter Haarausfall bezeichnet, ist die weltweit häufigste Form des Haarausfalls. Diese Form des Haarausfalls wird durch genetische Veranlagung und Einwirkung von Androgenen geprägt, wobei ihre Ätiologie als multifaktoriell (umweltbedingte und systemische Faktoren, das Altern) angesehen wird. Die Häufigkeit der Erkrankung nimmt in der Regel mit dem Alter zu. Die höchste PrävalenzPrävalenzZum Glossareintrag liegt in hellhäutigen Bevölkerungsgruppen, bei denen bis zum Alter von 70 Jahren rund 80 % der Männer und 40 % der Frauen betroffen sein können (Varothai und Bergfeld, 2014; Wolff et al.kurz füret alii (lat. "und andere") 2016; Devjani et al.kurz füret alii (lat. "und andere"), 2023).
3.1.1 Krankheitsbild
Die androgenetische Alopezie ist durch eine nicht vernarbende, fortschreitende Miniaturisierung der Haarfollikel bei prädisponierten Männern und Frauen gekennzeichnet, die in der Regel nach einem bestimmten Muster verteilt ist. Histologisch beobachtet man eine fortschreitende Miniaturisierung von Terminalhaarfollikeln in genetisch prädisponierten Kopfhautarealen, eine Verkürzung der Wachstumsphasen und verminderte Haarschaftdicken (Blume-Peytavi et al.kurz füret alii (lat. "und andere"), 2011; Devjani et al, 2023).
Der normale Haarwuchszyklus besteht aus vier Phasen: Anagen (Wachstum), Katagen (Rückbildung), Telogen (Ruhe) und Exogen (Ausfallen). Ungefähr 80-90 % der Follikel befinden sich jederzeit in der anagenen Phase, und jeden Tag befinden sich etwa 100 Follikel in der exogenen Phase. Bei androgenetischer Alopezie verbringen die Haarfollikel weniger Zeit in der Anagen-Phase und werden „miniaturisiert“, was zu abnorm kurzen und dünnen sog. „Vellus“-Haarschäften führt. Die allmähliche Umwandlung der Terminalhaare in Intermediär- und Vellushaare führt schließlich bei Patienten mit androgenetischer Alopezie zu einer allmählichen Ausdünnung der Haare und zu Haarausfall (Devjani et al, 2023).
Die androgenetische Alopezie zeigt typische Haarausfallsmuster: der männliche Typ mit Geheimratsecken und Lichtung im Bereich der Tonsur (Klassifikation Norwood-Hamilton) beziehungsweise der weibliche Typ mit Mittelscheitel-Lichtung (Ludwig-Klassifikation). Der Haarverlust bei Männern beginnt manchmal bereits nach der Pubertät mit Geheimratsecken, dann lichten sich die Stirn und die Schläfen zunehmend. Auch am oberen Hinterkopf entsteht häufig eine kahle Stelle. Im Endstadium steht nur noch ein Haarkranz, der zwischen den Ohren über den Hinterkopf verläuft. Der Haarverlust bei Frauen beginnt meistens erst nach der Menopause. Das so genannte weibliche Muster ist durch eine diffuse Ausdünnung im Mittelscheitel unter Beibehaltung der vorderen Haarlinie gekennzeichnet. Es ist die häufigste Form bei Frauen, wird aber gelegentlich auch bei Männern beobachtet (Wolff et al.kurz füret alii (lat. "und andere"), 2017; Devjani et al, 2023).
Das diagnostische Vorgehen bei androgenetischer Alopezie einschließlich eines diagnostischen Algorithmus wurde im Rahmen eines europäischen Konsensus 2011 erarbeitet (Blume-Peytavi et al.kurz füret alii (lat. "und andere"), 2011). Die Diagnose wird in der Regel klinisch durch Inspektion der Haare und der Kopfhaut gestellt, die eine nicht vernarbende Alopezie in der typischen Musterverteilung zeigen. Die klinische Untersuchung beinhaltet auch einen „Zugtest“ sowie eine Untersuchung der Gesichts- und Körperhaare und der Nägel, um Differentialdiagnosen (andere Formen/Ursachen von Haarausfall) auszuschließen, insbesondere diffuses Telogen effluvium, Alopecia areata und narbige Alopezie. In Zweifelsfällen wird eine Trichoskopie durchgeführt (Blume-Peytavi et al.kurz füret alii (lat. "und andere"), 2011; Blumeyer et al.kurz füret alii (lat. "und andere"), 2011; Kanti et al, 2018).
3.1.2 Ursachen und Risikofaktoren
Wie der Begriff „androgenetische Alopezie“ schon andeutet, beinhaltet der Krankheitsmechanismus eine übermäßige Reaktion auf Androgene. Man geht derzeit davon aus, dass lokale und systemisch zirkulierende Androgene (mit Beteiligung von verschiedenen Wachstumsfaktoren und Zytokinen) eine Verwandlung von großen Terminal-Haarfollikeln in kleinere vellusartige Haarfollikel auslösen. Die Follikelminiaturisierung ist das histologische Kennzeichen der androgenetischen Alopezie (Kanti et al, 2018).
Bei Männern gilt eine erhöhte Empfindlichkeit der Haarfollikel gegenüber Androgenen als Hauptursache für androgenetische Alopezie. Untersuchungen von genetischen Störungen sowie Erkenntnisse aus klinischen Versuchen mit 5α-Reduktase-Hemmern haben gezeigt, dass Dihydrotestosteron (DHT) das Androgen ist, das hauptsächlich für die Follikelpathologie verantwortlich ist, obwohl die molekularen und zellulären Vorgänge nur teilweise verstanden sind. DHT wirkt wahrscheinlich in erster Linie auf die dermale Papille, den vorherrschenden Ort der Androgenrezeptor- und Typ-II-5α-Reduktase-Expression innerhalb des Haarfollikels. Eine Reihe von Signalmolekülen wurde mit der Hemmung des Haarwachstums bei androgenetischer Alopezie in Verbindung gebracht (einschließlich TGF-β1 und TGF-β2, Wachstumsfaktoren aus der WNT-Signalfamilie und IL-6). Es gibt auch Hinweise auf eine Beteiligung von Prostaglandinen. Dabei scheint die Sensibilität der Haarfollikel gegenüber normwertig zirkulierenden Androgenen genetisch bedingt erhöht zu sein. Da die Haarwurzeln am Hinterkopf und im Nackenbereich gegenüber DHT wesentlich geringere Empfindlichkeit aufweisen, sind diese Regionen nicht oder erst wesentlich später von Ausfall betroffen (Piraccini et al, 2014; Kanti et al, 2018; Devijani et al, 2023).
Die Entwicklung der androgenetischen Alopezie bei Männern ist überwiegend erblich bedingt, und man geht aktuell von einem polygenen Erbgang aus. Bei Männern zeigten Familienanalysen starke Übereinstimmungsraten bei Zwillingen und ein erhöhtes Risiko für Söhne von glatzköpfigen Vätern. Darüber hinaus werden Varianten auf dem Androgenrezeptor-Gen und auf Chromosom 20p11 mit der Entwicklung von androgenetischer Alopezie bei Männern in Verbindung gebracht (Blume-Peytavi et al, 2011; Heilemann et al, 2013).
Die Ätiologie der androgenetischen Alopezie bei Frauen ist weniger erforscht als bei Männern. Auch bei Frauen spielt die Überempfindlichkeit der Haarwurzel gegenüber DHT eine wichtige Rolle. Allerdings hängt der vermehrte Haarausfall bei Frauen vor allem nach den Wechseljahren weniger mit einem Anstieg des Testosteronspiegels zusammen, sondern kann vielmehr durch das Abnehmen der weiblichen Geschlechtshormone begründet werden, die normalerweise als Gegenpol zum Testosteron dienen (Vujovic et al 2014; Redler et al, 2017; Bhat et al 2020).
Es wurde eine erhöhte Häufigkeit von Glatzenbildung bei männlichen Verwandten ersten Grades von Frauen mit androgenetischer Alopezie berichtet, was zumindest eine gewisse genetische Gemeinsamkeit zwischen weiblicher und männlicher androgenetischer Alopezie nahelegt. Fallkontrollstudien zur Gen-Assoziation haben eine schwache Assoziation zwischen dem AR/EDA2-Lokus und früh einsetzender weiblicher androgenetischer Alopezie, aber keine Assoziation mit den 11 autosomalen Loci, die mit männlicher androgenetischer Alopezie assoziiert sind, gezeigt (Heilmann et al, 2013; Redler et al, 2013). Es besteht eine schwache Assoziation mit dem Gen für den Östrogenrezeptor 2 (ESR2), was darauf hindeutet, dass bei der weiblichen androgenetischen Alopezie östrogene Signalwege beteiligt sind (Yip-et al, 2012; Redler et al, 2014).
Die Faktoren, die zur Follikel-Miniaturisierung führen, sind bei Frauen noch nicht vollständig geklärt. Ein möglicher Mechanismus ist eine Abnahme der Anzahl dermaler Papillenzellen aufgrund von Apoptose. Die Follikelrückbildung in der katagenen Phase ist das Ergebnis der diffusen Apoptose der follikulären Keratinozyten. Die Apoptose ist das Ergebnis eines Ungleichgewichts zwischen verschiedenen Wachstumsfaktoren und Zytokinen, die die Apoptose fördern, und jenen Wachstumsfaktoren und Zytokinen, die die anagene Phase aufrechterhalten (Redler et al, 2017; Bhat et al, 2020).
Obwohl die Erkrankung familiär und vererbbar ist, bleibt das Vererbungsmuster der androgenetischen Alopezie bei Frauen unklar und ist wahrscheinlich sowohl polygen als auch multifaktoriell. Darüber hinaus wurde auch berichtet, dass androgenetische Alopezie mit dem Body-Mass-Index (BMI), niedriger körperlicher Aktivität und dem metabolischen Syndrom assoziiert werden könnte (Redler et al, 2017; Devjani et al.kurz füret alii (lat. "und andere"), 2023). In der aktuellen wissenschaftlichen Literatur für androgenetische Alopezie bei Frauen wird auch ein differenzierender Begriff "the Female Pattern Hair Loss" bzw. abgekürzt FPHL verwendet (Atanaskova et al.kurz füret alii (lat. "und andere"), 2013; Herskovitz et al.kurz füret alii (lat. "und andere"), 2013; Vujovic et al.kurz füret alii (lat. "und andere"), 2014; Redler et al, 2017; Bhat et al, 2020).
3.2 Haben Patientinnen und Patienten mit androgenetischer Alopezie einen besonderen sonstigen, medizinisch bedingten Nährstoffbedarf?
Allgemein ist ein guter Ernährungszustand des Organismus mit adäquater Versorgung mit Makro- und Mikronährstoffen von grundlegender Bedeutung für Haarfollikel - die Gewebe mit einer hohen biosynthetischen Aktivität. Ein Kalorienmangel oder ein Mangel an verschiedenen Nährstoffen, einschließlich Vitaminen, Mineralstoffen, essenziellen Fettsäuren und Proteinen kann zu Haarausfall, strukturellen Anomalien und Pigmentveränderungen führen (Finner et al, 2013; Guo et al, 2017). So hat man zum Beispiel bei Patienten nach Durchlaufen einer „Crash-Diät“ das Auftreten von so genanntem diffusem Haarausfall (Telogen Effluvium) beobachtet und als dessen Ursache eine rigorose kalorische Restriktion mit anschließender unzureichender Energieversorgung der Haarmatrix angenommen (Goette et al, 1976; Krusinski et al, 1976; Kaufman JP et al, 1976; Boisvert A. et al 1978).
Die wissenschaftliche Datenlage zur Beantwortung der Frage, ob Patienten mit androgenetischer Alopezie einen sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf aufweisen, dem nicht durch eine Modifizierung der normalen Ernährung begegnet werden könnte, ist gering und wird im Folgenden zusammengefasst.
Zunehmend wird eine konsequente mediterrane Ernährung (eine Ernährung mit reichlichem Verzehr von pflanzenbasierten Lebensmitteln wie Gemüse, Obst, Nüssen, Hülsenfrüchten und Vollkorngetreide, moderatem Verzehr von Fisch und geringem Verzehr von Fleisch und Geflügel sowie moderatem Verzehr von Milchprodukten und Olivenöl als Hauptfettquelle) mit einem geringeren Risiko für die Entwicklung und das Fortschreiten von androgenetischer Alopezie in Verbindung gebracht (Fares et al, 2018; Pham et al, 2019).
In-vivo Studien an Gen-Knockout-Mäusen haben gezeigt, dass Vitamin-D-Rezeptoren die Expression von Genen regulieren könnten, welche für den Haarfollikelzyklus erforderlich sind (Demay, 2012). Es liegen einzelne Beobachtungsstudien vor (vorwiegend kleinere Fall-Kontroll-Studien), in denen bei Patienten mit androgenetischer Alopezie gehäuft niedrigere Serum-Vitamin-D-Spiegel als bei Kontrollpatienten nachgewiesen wurden.
So berichteten Banihashemi et al.kurz füret alii (lat. "und andere") (2016) in einer Fall-Kontroll-StudieFall-Kontroll-StudieZum Glossareintrag bei 45 Frauen mit FPHL (weiblicher androgenetischer Alopezie) signifikant niedrigere Vitamin-D-Spiegel als bei 45 Kontrollpersonen, wobei in dieser Studie 80 % der Fälle und 71 % der Kontrollpersonen eine unzureichende Vitamin-D-Versorgung (25(OH)D-Serumspiegel <20 ng/mlkurz fürMilliliter) aufwiesen. Rasheed et al.kurz füret alii (lat. "und andere") (2013) berichteten über signifikant verringerte Serum-Vitamin-D-Spiegel bei 40 Frauen mit FPHL (29,1 ± 8,5 nmol/l) im Vergleich zu 40 altersgleichen gesunden Frauen (118,2 ± 68,1 nmol/l). Fawzi et al.kurz füret alii (lat. "und andere") (2016) beobachteten bei 20 Patienten mit androgenetischer Alopezie verringerte Serum- und Gewebespiegel von Vitamin-D-Rezeptoren (VDR). Die VDR-Spiegel waren bei weiblichen Patienten signifikant höher als bei männlichen. Eine Fall-Kontroll-Studie von Sanke et al.kurz füret alii (lat. "und andere") 2020 (mit insgesamt 50 Fällen - Männer mit klinisch diagnostizierter androgenetischer Alopezie - und 50 gematchten gesunden Kontrollen) zeigte eine signifikante Korrelation zwischen Vitamin-D-Mangel und der Schwere der androgenetischen Alopezie. In einer weiteren Fall-Kontroll-Studie von Zhao et al.kurz füret alii (lat. "und andere") (2020) wurde der Serum-Vitamin-D-Spiegel bei chinesischen Patienten mit verschiedenen Arten von Alopezie, einschließlich AGA, untersucht (657 Frauen mit FPHL, 777 Männer mit AGA und 2070 Kontrollpersonen). Die mittleren 25(OH)D-Serumspiegel von Frauen (47.90nmol/L) und Männern (50.00 nmol/L) mit androgenetischer Alopezie waren signifikant niedriger als die der Kontrollpersonen (52.35 nmol/l bei Frauen, 53.05 nmol/l bei Männern). Kumar et al.kurz füret alii (lat. "und andere") (2024) untersuchten Serum-Vitamin-D-Spiegel in einer indischen Fall-Kontroll-Studie bei 50 Männern mit androgenetischer Alopezie und 50 Kontrollpersonen. Eine Vitamin-D-Unterversorgung (< 50 nmol/l bzw. < 20 ng/mlkurz fürMilliliter) war bei Haarausfall-Fällen (56 %) im Vergleich zu Kontrollen (24 %) deutlich häufiger (p < 0,001). Der durchschnittliche Serum-Vitamin-D-Spiegel war bei den Fällen (33,1 ± 10,6 ng/mlkurz fürMilliliter) signifikant niedriger als bei den Kontrollen (40,3 ± 9,51 ng/mlkurz fürMilliliter) (p=0,0005). In einer anderen Fall-Kontroll-Studie mit 60 Probanden (30 Patienten mit androgenetischer Alopezie und 30 altersgleiche gesunde Kontrollpersonen) lag der durchschnittliche Serum-Vitamin-D-Spiegel von Patienten bei 37,1 ng/mlkurz fürMilliliter statistisch signifikant niedriger (p=0,02) im Vergleich zu den Kontrollpersonen mit 44,2 mgkurz fürMilligramm/mlkurz fürMilliliter (Tahlawy et al 2021).
Insgesamt lassen sich aus diesen kleineren Beobachtungsstudien keine Kausalzusammenhänge ableiten. Ein höherer Serum-Vitamin-D-Spiegel könnte z. B. auch als Folge von vermehrtem Aufenthalt und Bewegung an der frischen Luft interpretiert werden, was zu allgemein besserem Gesundheitszustand beitragen kann. Zu der Frage, ob eine Vitamin-D-Supplementierung die Entwicklung von androgenetischer Alopezie positiv beeinflussen kann, liegen derzeit keine veröffentlichten kontrollierten Studien vor. Eine Überwachung eines Vitamin-D-Mangels kann bei Patienten mit androgenetischer Alopezie auf jeden Fall sinnvoll sein.
Der Stellenwert niedriger Eisenspeicher in der Ätiologie von androgenetischer Alopezie ist derzeit umstritten. Bei Frauen mit FPHL wurden sowohl niedrigere (Deloche et al.kurz füret alii (lat. "und andere") 2007; Park et al.kurz füret alii (lat. "und andere") 2013) als auch ähnliche (Olsen et al.kurz füret alii (lat. "und andere") 2010) Serum-Ferritinwerte im Vergleich zu Kontrollgruppen festgestellt. Es gibt keine kontrollierten Studien, welche die Entwicklung des Haarwachstums auf eine Eisensupplementierung bei Patienten mit androgenetischer Alopezie untersucht haben. Derzeit gibt es keine ausreichende Evidenz für eine Eisenergänzung bei Patienten mit androgenetischer Alopezie, insbesondere wenn kein ärztlich nachgewiesener Eisenmangel vorliegt. Es gibt weitere einzelne kleinere Untersuchungen, in denen bei Patienten mit androgenetischer Alopezie geringere Plasmaspiegel der Vitamine A, B, C, B12, Biotin sowie der Mineralstoffe Eisen, Selen und Zink und Kupfer im Vergleich zu gesunden Kontrollen gemessen wurden (Kondrakhina et al, 2020).
Insgesamt gilt die Rolle von Mikronährstoffen bei der Entwicklung von androgenetischer Alopezie (im Unterschied zu anderen Haarausfall-Formen, wie dem telogenen Effluvium - eine bekannte Folge von plötzlichem Gewichtsverlust oder verminderter Proteinzufuhr) derzeit als nicht geklärt. Für Patienten mit androgenetischer Alopezie, die keinen labordiagnostisch nachgewiesenen Nährstoffmangel aufweisen, wird derzeit keine Supplementierung empfohlen (Guo et al, 2017; Gokce et al 2022).
Des Weiteren liegt eine publizierte ex-vivo Studie von Pissini et al.kurz füret alii (lat. "und andere") (2022) vor, die an präparierten Haarfollikeln von Patientinnen mit FPHL (weibliche Form von androgenetischen Alopezie) durchgeführt wurde und nach Ansicht der Studienautoren eine Bestätigung für einen spezifischen Nährstoffmangel in Verbindung mit miniaturisierten (intermediären) Follikeln darstellen sollte. In der Studie wurden die Stoffwechsel- und Nährstoffprofile in den von FPHL-Patientinnen entnommenen Haarfollikeln mittels UPLS-MS, in-situ-Immunfärbung, „metabolite set enrichment analysis“, ex-vivo-Absorption von fluoreszenzmarkierten Metaboliten sowie in situ Immunofluoreszenz untersucht. Es wurde berichtet, dass die getesteten intermediären Haarfollikel von Patientinnen mit FPHL im Vergleich zu gesunden Follikeln eine geringere metabolische Aktivität aufwiesen. Mithilfe von Metabolomanalysen wurden in der Studie Veränderungen im Energiestoffwechsel der Haarfollikel festgestellt, die auf eine verminderte Versorgung mit bzw. Aufnahme von Nährstoffen wie Glukose und Aminosäuren hindeuteten. Nach Ansicht der Autoren könnte eine solche Nährstoffknappheit zu einem „ruhenden“ metabolischen Zustand führen, was wiederum das Haarwachstum beeinträchtigen könnte. Folglich könnte eine Nahrungsergänzung die Haargesundheit bei Personen mit FPHL durch Wiederherstellung dieser Stoffwechselfunktionen unterstützen (Pissini et al, 2022). Aus Sicht der Risikobewertung kann allerdings aus dieser Studie nicht geschlussfolgert werden, ob die beobachteten metabolischen Veränderungen in betroffenen Haarfollikeln eine Ursache oder eine Folge der Haarfollikel-Miniaturisierung bei androgenetischer Alopezie darstellen, und ob eine erhörte orale Zufuhr an bestimmten Nährstoffen diese metabolischen Veränderungen in betroffenen Haarfollikeln wiederherstellen könnte.
Wie bereits in Abschnitt 3.2.2 ausgeführt, spielen in der Entwicklung der androgenetischen Alopezie parakrine und autokrine Signalkaskaden eine entscheidende Rolle, die wiederum durch Androgene (DHT) in genetisch betroffenen Haarfollikeln ausgelöst werden. Eine lokale, anhaltende Bindung von DHT an die Androgen-Rezeptoren in Haarzwiebeln von Haarfollikeln führt zu einer Unterbrechung des Haarzyklus. Darüber hinaus zeigen diese kahl werdenden Haarzwiebel-Zellen Anzeichen einer vorzeitigen Seneszenz und sezernieren hemmende Faktoren. Des Weiteren werden von betroffenen Haarfollikel-Zellen entzündliche Zytokine wie IL-6 ausgeschüttet, welche den Eintritt in die Anagenphase hemmen (Duran et al, 2024). Vor dem Hintergrund dieser Mechanismen ist es nicht plausibel, wie eine verstärkte orale Nährstoffzufuhr im Krankheitsverlauf eine Verbesserung bringen sollte.
Zusammenfassend lässt sich auf Basis des derzeitigen Wissens feststellen, dass es keine Hinweise darauf gibt, dass Personen mit einer androgenetischen Alopezie besondere Ernährungsbedürfnisse haben bzw. einen besonderen Nährstoffbedarf aufweisen. Die Rolle der oralen Supplementierung mit Aminosäuren, Vitaminen und Mineralstoffen bei anlagebedingtem Haarausfall ist derzeit umstritten, denn Nachweise für ihre WirksamkeitPositiver prädiktiver WertZum Glossareintrag fehlen. Stattdessen gelten für Personen mit androgenetischer Alopezie die allgemeinen Grundsätze einer gesunden und ausgewogenen Ernährung.
Weitere Informationen zu Mikronährstoffen und Nahrungsergänzungsmitteln auf der BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung-Website
- Nahrungsergänzungsmittel zu den Fragen und Antworten des BfR
- Mikronährstoffe und Co. zum BfR-Internetportal Mikronährstoffe und Co.
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