Kategorie Mitteilungen
Mitteilung Nr. 056/2025

Mikroplastik im Gehirn BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung bewertet kontrovers diskutierte Studie zu Mikro- und Nanoplastik in menschlichen Organen

Darum geht es:

Ein US-amerikanisches Forschungsteam hat in menschlichen Organen, insbesondere im Gehirn, Mikroplastikpartikel nachgewiesen Externer Link:(Nihart et al., Bioaccumulation of microplastics in decedent human brains, Nature Medicine 2025, 31, 1114–1119; https://doi.org/10.1038/s41591-024-03453-1). Verglichen wurden Gewebeschnitte Verstorbener aus dem Jahr 2016 und dem Jahr 2024. Dabei fiel auf, dass die Konzentration von Mikroplastik in den neueren Proben deutlich höher lag als in den älteren Vergleichsproben. Besonders auffällig waren die Gehirne von Menschen mit Demenzerkrankungen: Diese Proben wiesen die höchsten messbaren Gehalte an Mikroplastik auf.

Die Studie wird wissenschaftlich kontrovers diskutiert. So wurden auch zahlreiche kritische Kommentierungen veröffentlicht. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung) kommt zu dem Schluss, dass die Studie in Bezug auf Aktualität und Neuheit grundsätzlich beachtenswert ist, jedoch methodische Schwachstellen hat – etwa hinsichtlich Probenaufbereitung, Messverfahren und Signalzuordnung. Während erste Hinweise auf Mikroplastik in Gehirnen vorliegen, scheinen die gemessenen Mengen unplausibel hoch – falsche und fehlinterpretierte Signale, die zu Überschätzungen der ExpositionExpositionZum Glossareintrag führen würden, können nicht ausgeschlossen werden. Der Nachweis von Kunststoffpartikeln in komplexer Matrix befindet sich noch in den Anfängen seiner Entwicklung. Somit bildet die Messanalytik derzeit einen großen Unsicherheitsfaktor innerhalb der Forschung zu Mikro- und Nanoplastik (MNP). Validierte analytische und mechanistische Folgestudien zur Eindringtiefe, zum Transportweg und zu möglichen gesundheitlichen Folgen werden benötigt.

Nach dem aktuellen Stand des Wissens liegen keine belastbaren toxikologischen Hinweise auf gesundheitliche Risiken durch die Aufnahme von Mikroplastik über Lebensmittel vor. Weitere Informationen zum aktuellen Sachstand stellt das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung in seinen Externer Link:FAQ zur Verfügung.

Zum Thema Mikroplastik wird seit einiger Zeit intensiv geforscht, um verlässliche Daten zu erhalten und somit das gesundheitliche Risiko für Verbraucherinnen und Verbraucher besser einschätzen zu können. Auch das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung führt wissenschaftliche Studien zu möglichen Gesundheitsrisiken durch und erforscht über bevölkerungsrepräsentative Befragungen die Wahrnehmung von Mikroplastik in der Öffentlichkeit.

1 Zusammenfassung der Studie

Die vorliegende Studie befasst sich mit der Detektion von Mikroplastikpartikeln in Proben von Organen verstorbener Menschen aus unterschiedlichen Krankenhäusern der USA zu zwei unterschiedlichen Entnahmezeitpunkten (2016 und 2024). Somit handelt es sich um eine multizentrische Beobachtungsstudie, in der die Gruppen unter anderem auch nach diagnostizierten Demenzerkrankungen unterteilt wurden. Es wurden Organe wie Leber, Niere und Gehirn mittels analytischer Verfahren, insbesondere Pyrolyse-Gaschromatographie-Massenspektrometrie (Py-GC/MS), auf das Vorliegen von Mikroplastik verschiedener Polymerarten untersucht. In den Organproben konnten mehrere Plastikarten nachgewiesen werden, wobei Polyethylen (PE) durchgehend den höchsten Anteil ausmachte. Zudem wurde festgestellt, dass in den Gehirnproben von Demenzpatientinnen und -patienten höhere Kunststoffgehalte messbar waren. Hierbei wurden – insbesondere in Immunzellen in den Wänden der zerebralen Blutgefäße (cerebrovascular walls) – Kunststoffpartikel detektiert. Weitere gesundheitliche Parameter wurden nicht untersucht. Die Studie stellt über die Korrelation hinaus auch keine Behauptungen über ursächliche Zusammenhänge zwischen Kunststoffexposition und gesundheitlichen Auswirkungen auf. Jedoch stellt die Studie fest, dass die gemessenen Kunststoffgehalte der neueren Proben über denen der älteren Proben lagen, was auf eine gestiegene Umweltexposition zurückgeführt wird. Die Studie betont die Notwendigkeit, Mikroplastikexposition, Aufnahme- und Verteilungswege und daraus resultierende mögliche gesundheitliche Auswirkungen genauer zu untersuchen.

2 Einschätzung der Studie

Grundsätzliches

Die Studie von Nihart et al.kurz füret alii (lat. "und andere") erscheint grundsätzlich sorgfältig durchgeführt und verwendet fortschrittliche Methoden auf dem aktuellen Stand der Technik zum Nachweis von Mikroplastik in menschlichen Organproben. Der Schwerpunkt liegt auf dem Gehirn, wobei auch andere Organe, wie z. B. Leber und Niere, untersucht wurden. 

Wesentliche Kernaussagen der Studie sind, dass:

  • das menschliche Gehirn messbare Mengen Mikroplastik, insbesondere Polyethylen, enthält. Die Partikel waren in Größenbereichen zwischen 0,2-1 Mikrometer (µkurz fürMikrom). Unklar ist, auf welchen Wegen diese Partikel dorthin gelangt sind.
  • die Mengen an Mikroplastik in den letzten Jahren gestiegen sind. Unabhängig von Alter, Geschlecht und sonstigen sozioökonomischen Faktoren ließ sich bei Verstorbenen im Jahr 2024 im Vergleich zum Jahr 2016 ein Anstieg feststellen.
  • in Gehirnproben von Verstorbenen, bei denen Demenzerkrankungen nachgewiesen wurden, höhere Mengen gefunden wurden als in den übrigen Gruppen, unabhängig von deren Alter.

Diese Aussagen haben in Bezug auf Aktualität und Neuheit einen großen Stellenwert. Es ist das erste Mal, dass solche Daten beim Menschen gezeigt wurden. Die Ergebnisse erscheinen grundsätzlich begründet, müssen jedoch durch weitere Forschung überprüft werden. In den vergangenen Jahren erschienen vergleichbare Studien, die Mikroplastik in anderen menschlichen Organen detektieren konnten, beispielsweise in Externer Link:arteriellen Plaques, Externer Link:Riechkolben, Externer Link:Blut oder Externer Link:Plazentagewebe. Diese Studien bestärken die Hypothese, dass Mikroplastik sich im menschlichen Körper verteilen und sich auch in Organen anreichern könnte. Jedoch ist ebenso bekannt, dass der Körper und insbesondere das Gehirn über effiziente Barrieren verfügt und es Schutzmechanismen gegen die Aufnahme und Akkumulation unerwünschter Stoffe gibt. Zudem ist die Aufnahme von Partikeln in den Körper stark vom Aufnahmeweg und den Partikeleigenschaften, wie z.B. der Partikelgröße, abhängig.

Ein großer Unsicherheitsfaktor ist hierbei die Messanalytik, die sich für die Detektion von Kunststoffpartikeln in komplexer Matrix noch in den Anfängen ihrer Entwicklung befindet. Daher wird aktuell jede neu erschienene Studie entsprechend kritisch in der Fachwelt diskutiert. Einige Expertinnen und Experten haben die Bedeutung der Arbeit positiv bewertet, während andere das analytische Vorgehen kritisierten. Dem BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung bekannte, veröffentlichte Kommentare sind z. B.: 

Die Kommentare kritisieren maßgeblich die verwendeten Messmethoden, aber zum Teil auch die Umsetzung des Manuskripts (gemeint ist die Darstellung der Daten: beispielsweise wurden Abbildungen falsch beschriftet oder vertauscht), die Dateninterpretation sowie die Veröffentlichung insgesamt. Zugleich wird die Bedeutung einer robusten Wissenschaft für dieses wichtige Forschungsfeld betont. 

Ziel dieser Stellungnahme ist es, sowohl die Studie Nihart et al.kurz füret alii (lat. "und andere") als auch die publizierten Kommentierungen fachlich und nach neuestem Stand der Wissenschaft einzuschätzen, die gezeigten Ergebnisse kritisch zu überprüfen und in den bekannten wissenschaftlichen Rahmen einzuordnen. Es geht auch darum, Forschungs- und Etablierungsbedarf aufzuzeigen, der sich aus diesen Daten ergibt. Zudem werden Vorschläge für das Design kommender vergleichbarer Studien gemacht, die dazu führen sollen, künftige Unsicherheiten zu reduzieren und somit eine plausible, klare und wissenschaftlich nachvollziehbare Dateninterpretation zu ermöglichen.

Analytik und Partikelquantifizierung

Im Zentrum der Kritik steht die analytische Detektionstechnik. Zur Bestimmung der Konzentrationen von Polymeren in den untersuchten Geweben sowie deren partikulärer Form kommen in der Studie mehrere analytische Verfahren zum Einsatz: Pyrolyse Gaschromatographie-Massenspektrometrie (Py-GC/MS), abgeschwächte Totalreflektions-Fouriertransformations-Infrarotspektroskopie (ATR-FTIR), Elektronenmikroskopie (als Kopplung von Rasterelektronenmikroskopie und energiedispersiver Röntgenspektroskopie (SEM-EDS) sowie als Transmissionselektronenmikroskopie (TEM)) und Polarisationslichtmikroskopie. Die verwendeten Nachweismethoden sind modern, fundiert und für diesen Zweck grundsätzlich geeignet, erfordern jedoch wie jede Technik Etablierungsarbeit, wenn diese auf neue Fragestellungen angewendet werden. Dies betrifft sowohl die Optimierung der Probenaufarbeitung als auch die Entwicklung einer – für die jeweilige Probenmatrix und Zielsubstanzen angepassten – Messmethodik, die es ermöglicht, die Zielsubstanzen in den jeweiligen Proben empfindlich, akkurat und präzise bestimmen zu können. In dieser Studie wurden Kalibrationen und Qualitätskontrollschritte durchgeführt, jedoch fehlen an vielen Stellen geeignete Prozesskontrollen, um Hintergrundbelastungen oder methodenbedingte Kontaminationen angemessen einschätzen zu können.

Die Menge verschiedener Polymerarten wie beispielsweise Polyethylen (PE), Polypropylen (PP), Polyamid 6 bzw. 66 (PA-6 bzw. PA-66, auch Nylon-6 bzw. Nylon-66 genannt), Polyvinylchlorid (PVC) und Polycarbonat (PC) in den Gewebeproben wurde mittels Py-GC/MS bestimmt. Dafür wurden Gewebeproben zunächst durch basischen Verdau mit wässriger Kaliumhydroxidlösung (KOH) bei 40 °Ckurz fürGrad Celsius für mehrere Tage aufgeschlossen. Der nach diesem Verdau unlösliche Rückstand wurde durch Ultrazentrifugation vom Überstand abgetrennt und mit Py-GC/MS auf seinen Polymergehalt untersucht. Kritisch zu betrachten ist vor allem, dass alle entnommenen Gewebe nach der Entnahme während der Autopsie Kontakt mit Plastik hatten. Zum Beispiel wurden die entnommenen Gehirne in Plastikeimern mit Formalinlösung zwischengelagert. Die verwendeten Ultrazentrifugenröhrchen für die Abtrennung von unlöslichen Bestandteilen bestanden aus PC bzw. high-density PE (HDPE). Außerdem wurden alle Organe für die Lagerung bis zur Untersuchung mit Skalpellen auf Plastikbrettern aus PE geschnitten, und anschließend in formalinbefüllten Plastikgefäßen aufbewahrt. Inwieweit beim Schneidevorgang Bestandteile des Schneidebretts zu Kontaminationen der Proben führen, und wie relevant solch ein möglicher Eintrag in die Proben wäre, wurde nicht untersucht. Allerdings wurde PE in allen untersuchten Geweben als Hauptbestandteil der Plastikfraktion identifiziert. Zudem wird in der Studie nicht erwähnt, ob die verwendeten Fixierungs- und Verdauungslösungen (Formalin, wässriges KOH) aus handelsüblichen Plastikgefäßen entnommen wurden, und diese somit eine Eintragsquelle darstellen könnten. Eine Untersuchung von Formalin- und KOH-Lösungen auf Plastikbestandteile ergab zwar keine Hinweise darauf, jedoch werden Probenvorbereitung und erhaltene Daten dieser Kontrollen nur skizzenhaft beschrieben, und sind damit nur wenig aussagekräftig. Umfangreiche Prozesskontrollen wären hier angebracht gewesen, um die Aussagekraft der Studie zu untermauern. 

Eine weitere Unsicherheit ergibt sich aus der Quantifizierung der einzelnen Polymere mit Py-GC/MS. Hier werden normalerweise für jedes Polymer mehrere Pyrolysefragmente herangezogen. Diese zerfallen im Massenspektrometer wiederum in mehrere Fragment-Ionen, aus deren Häufigkeit (Intensität) sich auf die Konzentration des Polymers schließen lässt. Um auszuschließen, dass andere, nicht-polymere Verbindungen (im Fall von PE sind das beispielsweise die Alkylketten von Fettsäureresten) diese Signale überlagern, sollten sie in bestimmten Verhältnissen auftreten. So berichten beispielsweise Rauert et al.kurz füret alii (lat. "und andere"), dass Signalverhältnisse des von PE abgeleiteten C10-Alkens zum C12- und C14-Alken bzw. C21-Alkadien von > 2 auf das Vorliegen solcher Interferenzen hindeuten (Environ. Sci. Technol. 2025, 59, 1984−1994; Externer Link:https://doi.org/10.1021/acs.est.4c12599). Zwar werden in der Publikation Pyrolysefragmente und Ionen für die Identifizierung und Quantifizierung der jeweiligen Polymere benannt. Allerdings ist weder nachvollziehbar, welche konkreten Ionen für die wichtige Quantifizierung herangezogen wurden, noch in welchem Verhältnis die Signale zueinander stehen. So kann eine Überlagerung durch nicht-polymere Bestandteile und damit eine signifikante Überschätzung der Polymergehalte nicht ausgeschlossen werden.

Eine Extraktion der nach dem basischen Verdau mit KOH verbliebenen Lipide in den Gewebeproben könnte eine weitere Abreicherung von störenden Fettbestandteilen ermöglichen, und somit falsch-positive Befunde von PE minimieren. Ein Vergleich mit den Pyrolyseprodukten unterschiedlicher Fettsäurestandards könnte zudem die Zuordnung der mit Py-GC/MS detektierten Signale erleichtern. Komplementär zu Py-GC/MS wären auch thermogravimetrische Analyse (TGA) und dynamische Differenzkalorimetrie (DSC) nützliche Analysenverfahren, um zwischen PE und Fettsäureresten zu unterscheiden. Betrachtet man aber den enormen Unterschied im Plastikgehalt zwischen normalen und demenzerkrankten Gehirnen, kann der vielfach größere gemessene Gehalt an PE in demenzerkrankten Gehirnen nicht auf einen ebenso größeren Gehalt an Fetten zurückgeführt werden. Schlussendlich ist unklar, inwieweit es zu Fehlinterpretationen bei der Zuordnung der spektroskopischen Signale gekommen ist, und welchen Einfluss dies auf die berichteten Polymergehalte hat.

Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf das Fehlen der gemessenen FTIR-Spektren, die für einen Nachweis der Identität der Signale notwendig wären. Zudem wurden mittels TEM unterschiedliche Morphologien der Partikel in den Gewebeproben nachgewiesen (siehe Abb.kurz fürAbbildung S9 und S16). Wenn postuliert wird, dass der überwiegende Anteil der gefundenen Polymerpartikel aus PE besteht, wäre eine ähnlichere Morphologie zu erwarten. 

Über mögliche Kunststoffquellen und Aufnahmewege, über welche die Mikroplastikpartikel ins Gehirn gelangt sein können, werden in der Publikation keine Aussagen getroffen. Zudem wird nicht differenziert, ob die Partikel die Blut-Hirn-Schranke tatsächlich passiert haben. Eine Ansammlung in den Blutgefäßen ist in Abb.kurz fürAbbildung 2f sichtbar. Die mit Polarisationsmikroskopie aufgenommenen Bilder lassen jedoch keinen eindeutigen Schluss zu, ob die detektierten Partikel die Blut-Hirn-Schranke überwunden haben oder sich ausschließlich innerhalb von Blutgefäßen des Gehirns befinden (s. Abb.kurz fürAbbildung 2e). 

Diese Einschränkungen unterstreichen, dass der Befund – signifikante Mengen von Mikroplastik im Gehirn – Anlass zu weiteren Untersuchungen gibt, die eine Verifizierung und Reproduktion der Ergebnisse mit einschließen sollten. Dabei sollte eine potentielle prozessbedingte Kontamination der Proben durch einen möglichst umfassenden Verzicht auf Plastik während der Probenaufarbeitung unbedingt vermieden, sowie stringente Prozesskontrollen mitgeführt werden. Zudem könnten alternative Analysetechniken zur Bestätigung der Polymeridentität und Erfassung der Partikelgrößenverteilung sowie größere Probensätze, die in unabhängigen Laboren untersucht werden, die wissenschaftliche Aussagekraft dieser wichtigen Daten deutlich verbessern. 

Interpretation der Ergebnisse und Korrelation mit gesundheitlichen Parametern (Toxikologie)

Wenngleich sich die Studie vor allem mit der Exposition und den Detektionstechniken von Mikro- und Nanoplastik (MNP) befasst, wird auch Besorgnis hinsichtlich der Auswirkungen auf die Gesundheit geäußert und mit dem immer weiter steigenden Expositionsniveau von MNP in der Umwelt begründet. Die Autorenschaft beschreibt, dass das tatsächliche Ausmaß, in dem MNP die menschliche Gesundheit beeinträchtigt, noch unklar ist, beziehen sich aber auf Studien, in denen Entzündungen und kardiovaskuläre Erkrankungen mit MNP in Verbindung gebracht werden. Hierbei wird auch auf die Studie von Marfella et al.kurz füret alii (lat. "und andere") (N. Engl. J. Med. 2024, 390, 900910; doi.orgExterner Link:10.1056/NEJMoa2309822) zu Mikroplastik in Proben menschlicher Atheromaplaques Bezug genommen. Das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung hat sich mit dieser Studie ausführlich auseinandergesetzt (Externer Link:https://www.bfr.bund.de/mitteilung/erhoehen-mikroplastikpartikel-das-risiko-fuer-einen-schlaganfall/). Tatsächlich existieren derzeit keine Belege dafür, dass die aktuelle MNP-Exposition und gesundheitliche Beeinträchtigungen in einem kausalen Zusammenhang stehen. Die Autorenschaft erwähnt toxikologische Effekte aus in vitro- und Tierstudien, stellt aber gleichzeitig klar, dass diese Daten oft mit extrem hohen Dosen an MNP erzeugt wurden, welche realistisch beim Menschen nicht erreicht werden. Eine stets steigende Umweltbelastung sei aber Grund, diese dennoch zu berücksichtigen. Zudem seien die tatsächliche Aufnahme in den Organismus sowie die Bioverfügbarkeit und Verteilung innerhalb des Körpers noch nicht richtig verstanden.

Konkret vergleicht die Studie die detektierten MNP-Konzentrationen in Organproben verschiedener Kohorten unterschiedlichen Ursprungs. Hierbei wurde auch eine Kohorte von zwölf Gehirnproben der Universität von New Mexico untersucht, die speziell von Spenderinnen und Spendern stammen, die mit verschiedenen Arten von Demenz diagnostiziert waren. Hierbei handelt es sich um sechs Fälle mit diagnostizierter Alzheimerkrankheit, drei Fälle vaskulärer Demenz und drei Fälle nicht weiter definierter anderer Demenzformen, welche zwischen den Jahren 2019 und 2024 gewonnen wurden. Die Patientinnen und Patienten hatten ein Lebensalter von durchschnittlich 77,1 (+/- 8,7) Jahren und waren damit deutlich älter als die meisten der anderen Kohorten. Nur die Gruppe der North-Carolina Duke Kathleen Price Bryan Brain Bank (13 Proben) waren laut Angaben der Autorenschaft mit 84 Jahren im Durchschnitt noch älter, wobei hier die Entnahmezeit zwischen den Jahren 1997-2013 deutlich früher erfolgt ist. Die Proben der Gruppe mit Demenzerkrankungen wiesen um ein Vielfaches höhere gemessene MNP-Konzentrationen auf (Abb.kurz fürAbbildung 1d, Tabelle S1). Mit durchschnittlich 27215 µgkurz fürMikrogramm/g enthielten die Proben weit mehr gemessenes Gesamtplastik als die anderen Gruppen (NM OMI 2016: 3420; NM OMI 2024: 4763; East Coast MD: 1404; East Coast MA: 994,8). Auch die Gruppe East Coast NC, die noch älter war, wies geringere Werte von 1259 µgkurz fürMikrogramm/g Gehirnmasse auf. In dieser Gruppe gibt es keine Information über mögliche Demenzerkrankungen. Begründet werden diese höheren Werte durch strukturelle Veränderungen, wie Atrophie des Gehirngewebes, geschwächte Blut-Hirn-Schranken und eine schlechtere Bereinigung des Gehirngewebes von Stoffwechselprodukten („Clearance“) als Merkmale von Demenzerkrankungen. Diese Parameter wurden jedoch in der Studie nicht gesondert erfasst und analysiert. Die Autorenschaft stellt bewusst keinen Kausalzusammenhang zu den Ursachen der Demenzerkrankungen her. Zu erwähnen ist auch, dass die Proben der Demenz-Kohorte teils an verschiedenen Standorten durchgeführt wurde und die Probennahme insgesamt unter nicht zu kontrollierenden Bedingungen stattgefunden hat. Zudem gab es in der Demenz-Kohorte keine Proben anderer Organe, sodass hier ausschließlich die Detektion im Gehirn verglichen werden kann. Der toxikologische Part ist methodisch gut beschrieben und die Ergebnisse sind nachvollziehbar und übersichtlich dargestellt. Wissenslücken werden adäquat adressiert und keine kausalen Zusammenhänge hergestellt, die nicht von den Daten gedeckt wären. In der Schlussfolgerung wird nur die Korrelation der Plastikmengen beschrieben, und aufgrund steigender Expositionshöhe in der Umwelt ein erhöhter Forschungsbedarf auch in Hinblick auf gesundheitliche Effekte, insbesondere auf neurologische Erkrankungen, postuliert.

Weitere Studienauswertung

Die Publikation von Nihart et al.kurz füret alii (lat. "und andere") befasst sich mit dem quantitativen Nachweis einer bisher theoretisch postulierten Exposition und stellt damit eine entscheidende Grundlage für die Umwelt-Epidemiologie da. Die Studie stellt fest, sofern korrekt durchgeführt und interpretiert, dass Mikroplastik (MP) im menschlichen Gehirngewebe vorhanden ist, was ein Anzeichen dafür sein kann, dass die Partikel auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden können. Das Studienergebnis, dass MP im menschlichen Gehirn akkumuliert, bestätigt das Vorliegen einer Exposition. Die Studie selbst stellt eine Querschnittsanalyse (Beobachtungsstudie) mit Verstorbenen (vorrangig aus 2016 und 2024) dar. Die Stichprobengröße ist klein und die Auswahl der beteiligten Krankenhäuser erfolgte nicht repräsentativ. Die Höhe der Gesamtexposition in der Bevölkerung sowie mögliche Expositionsquellen wurden nicht untersucht. Das Design und Verzerrungspotenzial wurden nicht im Detail bewertet. 

Die Studie benennt das Gehirn als signifikanten Akkumulationsort von MNP im menschlichen Körper. Es wurde festgestellt, dass in postmortalen Proben von Gehirn, Leber und Niere MNP, insbesondere Polyethylen (PE), aber auch andere Kunststoffe vorhanden sind. Der signifikante Anstieg der MNP-Konzentrationen zwischen 2016 und 2024 (in einem Zeitraum von nur acht Jahren) könnte auf eine steigende Umweltbelastung und damit eine zunehmende Exposition der Bevölkerung hindeuten, jedoch auch andere Gründe haben. Die interne Dosis des Menschen nimmt demnach zu. Die detaillierten statistischen Analysen in erweiterten Tabellen der ergänzenden Informationen zeigen, dass die MNP-Konzentrationen im Gehirn nicht signifikant durch Alter, Geschlecht oder andere Faktoren beeinflusst wurden. Dies bestärkt die Schlussfolgerung, dass der Zeitpunkt des Todes (2016 vs. 2024) und damit die potenziell angestiegene Umweltexposition der entscheidende Faktor für den Anstieg ist. Die wichtigste epidemiologische Beobachtung der Studie ist der mögliche Zusammenhang mit Demenz – es wurde bei geringer Probenzahl eine Korrelation zwischen höheren MNP-Konzentrationen und der Diagnose von Demenz festgestellt. Die Studie kann aber aufgrund ihres Querschnitts- bzw. retrospektiven Designs keine Kausalität belegen (d. h. nicht zeigen, dass zwischen Plastikpartikeln und Demenz ein ursächlicher Zusammenhang besteht). Es ist ebenso plausibel, dass eine durch Demenz geschädigte Blut-Hirn-Schranke die Ansammlung der MNP-Partikel ermöglicht oder die Clearance-Mechanismen beeinträchtigt sind, was zu einer Sekundär-Akkumulation führen könnte.

Die Studie liefert wichtige Grundlageninformationen zur Exposition, die nun durch validierte analytische und mechanistische Studien ergänzt werden müssen, um die tatsächliche Belastung und das resultierende Risiko für die menschliche Gesundheit bestimmen zu können. In diesem Wissenschaftsfeld sind aus Sicht des BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung insgesamt weitere epidemiologische Daten erforderlich. 

Plausibilität der Ergebnisse und offene Fragen

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Studie von Nihart et al.kurz füret alii (lat. "und andere") eine wichtige Schlüsselstudie darstellt, die insgesamt auf einem vergleichsweise guten und zeitgemäßen wissenschaftlichen Niveau geplant und durchgeführt wurde, wenngleich auch einige Schwachpunkte festgestellt wurden. Wichtige offene Fragen bestehen hinsichtlich der kontaminationsfreien Probenaufarbeitung, Blindwerten und Prozessverlaufskontrollen, der Validierung der Messverfahren und den Identitäten der Messsignale. Die drängendsten wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fragen sind, ob Mikroplastik tatsächlich in die untersuchten Organe gelangt, auf welchem Weg dies geschieht und ob dies in Zusammenhang mit gesundheitlichen Parametern gebracht werden kann. Einerseits deuten die Ergebnisse darauf hin, dass ein gewisser Gehalt an Mikro- und Nanoplastik in Gehirnen präsent ist. Andererseits sind die Massenangaben an detektiertem Mikroplastik aufgrund begründeter Annahme von falschpositiven Zuordnungen und Präparationsartefakten als unrealistisch hoch zu betrachten. Besonders kritische Teilschritte sind hierbei die Probenaufarbeitung sowie die analytischen Messverfahren und die Auswertungen der damit gewonnenen Daten. Es ist nicht gesichert, ob die Py-GC/MS Signale ausschließlich den Polymeren zuzuordnen sind oder ob es hier zu weitreichenden Mess- und Zuordnungsartefakten gekommen ist, die zu einer Überschätzung der tatsächlichen Exposition, insbesondere für PE, führen würden. Die Beurteilung der Plausibilität der Ergebnisse fällt aus den genannten Gründen schwer. Weitere Verifizierung der Messergebnisse sowie Folgestudien sind notwendig.