Kategorie Stellungnahmen
Stellungnahme Nr. 064/2025

Antibiotika-Einsatz in der Nutztierhaltung: Wöchentliche statt tägliche Meldung von Tierverlusten könnte Therapiehäufigkeit geringer erscheinen lassen als sie ist

Darum geht es:

Das Tierarzneimittelgesetz sieht vor, den Antibiotika-Einsatz in der Nutztierhaltung soweit wie möglich zu reduzieren, vor allem um die Entstehung und Ausbreitung von resistenten Erregern zu verhindern. Um dieses Ziel zu erreichen, wird als eine Maßnahme die betriebliche Therapiehäufigkeit einzelner Betriebe mit entsprechenden bundesweiten Kennzahlen verglichen. Überschreitet ein Betrieb eine bundesweite Kennzahl, muss ein Maßnahmenplan zur Reduktion des Antibiotika-Einsatzes erstellt und der zuständigen Behörde vorgelegt werden.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung) hat in der vorliegenden Stellungnahme überprüft, wie sich die Meldevorgaben zu Tierverlusten eines Betriebs - täglich oder wöchentlich - auf die ermittelte Therapiehäufigkeit in dem betreffenden Betrieb auswirken würde, konkret: ob eine nur wöchentliche Meldung der Tierverluste die ermittelte Therapiehäufigkeit beeinflusst oder nicht. In einer mathematisch-geometrischen Betrachtung zeigte sich, dass vor allem Betriebe mit hohen Tierverlustraten von einer nur wöchentlichen Verlustmeldung in dem Sinne profitieren würden, dass ihre ermittelte Therapiehäufigkeit geringer ausfiele als sie tatsächlich ist. So kann es vorkommen, dass ein Betrieb bei täglicher Meldung eine zentrale Kennzahl zur Therapiehäufigkeit überschreitet und Maßnahmen ergreifen müsste, bei wochengenauer Meldung aber nicht. Hintergrund ist, dass bei einer nur wochengenauen Meldung von Tierverlusten verendete oder getötete Tiere rechnerisch länger als tatsächlich im Bestand bleiben. Infolgedessen wird der durchschnittliche Tierbestand überschätzt, der der Berechnung der Therapiehäufigkeit zugrunde liegt. 

Dies steht dem Tierwohlgedanken entgegen. Das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung lehnt die Einführung einer solchen Option von daher ab.

In der vorliegenden Stellungnahme hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung) überprüft, ob sich die Meldevorgaben zu Tierverlusten in den Betrieben auf die ermittelte Therapiehäufigkeit auswirken würde. Grund dafür waren u. a. Überlegungen, das Tierarzneimittelgesetz durch die Einführung einer Spezialregelung zu ändern. Diese Spezialregelung sieht vor, den Tierhaltern alternativ zur vorgeschriebenen taggenauen Meldung auch die Möglichkeit der „wochengenauen“ Meldung der Abgänge verendeter/getöteter Tiere („unter Angabe des Datums des letzten Tages der betreffenden Kalenderwoche“) zu eröffnen. Das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung hat insbesondere geprüft,

  • ob eine entsprechende Neuregelung es erfordern würde, dass Tierhalter bei der Meldung nach § 57 Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. Satz 2 künftig bei den Abgangsmeldungen differenzieren müssen zwischen „lebend aus dem Betrieb abgegangenen Tieren“ und „verendeten/getöteten Tieren, die aus dem Betrieb abgingen“
  • wie sich eine solche ergänzende Regelung auf die betrieblichen Therapiehäufigkeiten auswirken würde.

1 Ergebnis

Das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung hält es für unerlässlich, dass im Falle einer Neuregelung, die es Tierhaltenden erlaubt, Tierverluste wochengenau statt tagesgenau zu melden, bei der Meldung von Tierabgängen eine Differenzierung zwischen „lebend abgegangenen“ und „verendet/getötet abgegangenen“ Tieren vorgenommen wird. Entscheidend für die Auswirkungen wochengenauer Tierverlustmeldungen auf die betrieblichen Therapiehäufigkeiten sind die Tierverlustraten. Dabei ist festzuhalten, dass Betriebe bei der Bestimmung der Therapiehäufigkeit umso mehr von der Option der wochengenauen Verlustmeldung profitieren würden, je höher ihre betriebsindividuellen Tierverlustraten sind. Dies steht dem Tierwohlgedanken entgegen. Das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung lehnt daher die Einführung einer solchen Option ab. Die Einschätzung, dass eine nur wochengenaue Erfassung der Tierverluste die Therapiehäufigkeit nur marginal beeinflusst, ist nicht zutreffend.

2 Begründung

2.1 Zu Punkt 1 – Differenzierung zwischen „lebend abgegangen“ und „verendet/getötet abgegangen“

In einer entsprechenden Neuregelung müsste klargestellt sein, dass „lebend abgegangene“ Tiere tagesgenau gemeldet werden müssen und nur für „verendet/getötet abgegangene“ Tiere eine wochengenaue Meldung vorgesehen ist. Ohne diese auch überprüfbare Präzisierung würde sich diese Regelung auf alle Abgänge erstrecken. Es könnte nicht mehr differenziert werden, welche Tiere als verendet/getötet abgegangen sind. Eine Ausdehnung einer wochenweisen Meldung auf alle Abgänge hätte jedoch den Effekt, dass die entstehende Ungenauigkeit bei der Berechnung der Therapiehäufigkeit erheblich höher ausfiele als im nächsten Abschnitt beschrieben.

2.2 Zu Punkt 2 – Auswirkung auf die betriebliche Therapiehäufigkeiten

Dem BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung liegen keine exakten Daten zu Tierverlusten vor. In der Literatur finden sich für die verschiedenen Nutzungsarten und Phasen eines Mastdurchganges Verlustraten mit großer Spannweite (siehe z. B. Landeskontrollverband Schleswig-Holstein 2018, Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft 2024, Bundesinformationszentrum Landwirtschaft 2025). Daher wurde die Auswirkung wochengenauer Verlustmeldungen im Vergleich zu tagesgenauen Meldungen auf die betriebliche Therapiehäufigkeit eine mathematisch-geometrische Abschätzung vorgenommen. Der Einfachheit halber wurde für die Abschätzung das klassische Rein-Raus-Verfahren zugrunde gelegt, bei dem alle Tiere gleichzeitig in einen Stall eingestallt und nach einer festen Verweildauer auch gleichzeitig wieder zur Schlachtung oder Wechsel in eine andere Produktionsphase ausgestallt werden (siehe Abbildung 1, wobei eine Verweildauer von 35 Tagen und eine wöchentliche Verlustrate von 5 % dargestellt ist). Hier lässt sich gut illustrieren, dass die wochengenaue Meldung zu einer Vergrößerung der Fläche unter dem Bestandsverlauf führt. Da diese Fläche den Haltungstiertagen im Halbjahr entspricht und somit (nach Teilung durch die Länge des Halbjahres in Tagen) den durchschnittlichen Tierbestand repräsentiert, also den Nenner der betrieblichen Therapiehäufigkeit, ist direkt ersichtlich, dass eine Vergrößerung der Fläche (bei gleichbleibender antibiotischer Behandlung) zu einer Verringerung der Therapiehäufigkeit führt.

Bei wochengenauer Verlustmeldung ist für jedes Prozent an wöchentlicher Tierverlustrate im Vergleich zur taggenauen Verlustmeldung im Schnitt eine Verringerung der betrieblichen Therapiehäufigkeit („TH“) von circa 0,43 Prozent zu erwarten. Diese Reduktion ist weitestgehend unabhängig von der Verweildauer der Tiere im Stall und der Höhe der betrieblichen Therapiehäufigkeit. Beispielsweise hätte eine wöchentliche Verlustrate von 3 % eine Reduktion der Therapiehäufigkeit um 3×0,43 %=1,29 % zur Folge, also von einer Therapiehäufigkeit von 10 Tagen auf 9,87 Tage oder von 33,3 Tagen auf 32,87 Tage. Diese Änderung hätte im Jahr 2023 in der Nutzungsart Masthühner dazu geführt, dass ein Betrieb, der bei tagesgenauer Meldung von Tierverlusten oberhalb der Kennzahl 2 lag, bei wochengenauer Meldung unter diese gerutscht wäre.

Wie oft solche Verschiebungen im Antibiotikaminimierungskonzept auftreten könnten, hat das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung anhand der für das Jahr 2023 vorliegenden betrieblichen Therapiehäufigkeiten abgeschätzt (siehe Tabelle 1). Für drei wöchentliche Tierverlustraten (1 %, 3 %, 5 %) wurde jeweils die Anzahl der Betriebshalbjahre bestimmt, bei denen die Therapiehäufigkeit so knapp oberhalb der für die jeweilige Nutzungsart gültigen Kennzahl 2 lag, dass die beschriebene Reduktion der Therapiehäufigkeit bei wochengenauer Verlustmeldung zu einer Verschiebung unter diese Kennzahl führen würde. Dabei könnte erwartet werden, dass die Verlustraten in Nutzungsarten mit kürzeren Verweildauern (z. B. Saugferkel oder Masthühner) höher ausfallen können als in Nutzungsarten mit längeren Verweildauern (z. B. zugegangene Kälber oder Mastschweine). Daraus ergibt sich, dass die häufigsten Verschiebungen bei Masthühnern zu erwarten wären, da in dieser Nutzungsart zum einen ein besonders hoher Anteil an Betrieben nur knapp oberhalb der Kennzahl 2 liegt und zum anderen von höheren Verlustraten als in anderen Nutzungsarten ausgegangen werden muss.

Eine wesentliche Erkenntnis dieser Betrachtungen ist, dass Betriebe umso mehr von der Option der wochengenauen Verlustmeldung profitieren würden, je höher ihre Tierverlustraten sind, was dem Tierwohlgedanken entgegensteht.

Wie stark die Auswirkung der Einführung der Option wochengenauer Verlustmeldungen auf die Kennzahlen wäre, lässt sich nur schwer prognostizieren. Hierfür wären Informationen über die Verlustraten, das Ein- und Ausstallverfahren (klassisches Rein-Raus-Verfahren mit oder ohne Vorausstallung, etc.) sowie über das tatsächliche Meldeverhalten der Betriebe notwendig. Klar ist jedoch, dass auch die Kennzahlen sinken würden.

Tabelle 1

Anzahl der Betriebshalbjahre, die unter die Kennzahl 2 rutschen könnten. Gezeigt wird eine Abschätzung anhand der Daten aus 2023, wie viele Betriebshalbjahre (d. h. Betriebe sind hier jeweils doppelt, also mit beiden Halbjahren berücksichtigt) unter die festgelegte Kennzahl 2 hätten rutschen können, wenn Tierverluste nicht mehr tagesgenau gemeldet würden, sondern wochengenau. Für drei wöchentliche Verlustraten (1 %, 3 %, 5 %) ist jeweils die Anzahl der Betriebshalbjahre angegeben, für die die betriebliche Therapiehäufigkeit so knapp über der Kennzahl 2 lag, dass sie bei wochengenauer Meldung unter die Kennzahl 2 rutschen würden, sowie der Anteil an der Gesamtzahl der Betriebshalbjahre in der jeweiligen Nutzungsart. Aufgeführt sind nur Nutzungsarten, für die die Kennzahl 2 von Null verschieden war.

NutzungsartGesamtzahl BetriebshalbjahreKennzahl 2Wöchentliche Verlustrate
1 %3 %5 %
AnzahlAnteilAnzahlAnteilAnzahlAnteil
Milchkühe45.6164,0261040,23 %2860,63 %4250,93 %
Kälber, zugegangen15.4392,18760,04 %140,09 %230,15 %
Saugferkel5.48536,57180,15 %210,38 %350,64 %
Ferkel11.2899,76580,07 %230,20 %390,35 %
Mastschweine32.9283,215120,04 %420,13 %670,20 %
Zuchtschweine5.8594,223100,17 %190,32 %340,58 %
Masthühner4.18033,105140,33 %410,98 %691,65 %
Mastputen2.18436,15830,14 %120,55 %180,82 %

Bei der mathematisch-geometrischen Betrachtung wurde davon ausgegangen, dass sich die Tierverluste gleichmäßig über die Woche und die Verweildauer verteilen und die wochengenaue Meldung immer am Sonntag (letzter Tag der betrachteten Woche) erfolgt. Im Extremfall, nämlich dass Tierverluste nicht über die Woche verteilt, sondern immer am Montag auftreten, wäre der Effekt auf die Therapiehäufigkeit doppelt so hoch wie zuvor beschrieben bzw. der Berechnung zugrunde gelegt. Im Einzelfall sind auch noch deutlich größere Auswirkungen möglich, wenn beispielsweise am Montag der gesamte Bestand getötet wird, diese Tierverluste aber erst am darauffolgenden Sonntag gemeldet werden.

Dass die Auswirkung einer wochengenauen Verlustmeldung auf die prozentuale Änderung der Therapiehäufigkeit weitestgehend unabhängig von der Verweildauer der Tiere ist, lässt sich damit erklären, dass es für die Vergrößerung der Fläche unter der Bestandsverlaufskurve kaum einen Unterschied macht, ob es vier Durchgänge à 35 Tagen gibt (wie in Abbildung 1 dargestellt) oder ob es einen einzelnen Durchgang mit 140 Tagen gibt (also 4 x 35).

An welchen Wochentagen die regulären Ein- und Ausstallungen stattfinden, führt lediglich zu geringen Abweichungen von der beschriebenen Auswirkung auf die Therapiehäufigkeit. Dies bestätigt sich auch, wenn die Verweildauer und die Länge der Reinigungsphasen zwischen Durchgängen variiert werden. Für den Effekt auf die Änderung der Therapiehäufigkeit ist immer die wöchentliche Verlustrate ausschlaggebend (siehe auch Abbildung 2). Den eingangs zitierten Quellen nach ist allerdings davon auszugehen, dass in Nutzungsarten mit längeren Verweildauern die wöchentlichen Verlustraten niedriger sind als in solchen mit kürzeren Verweildauern.

Wenn bei der wochengenauen Meldung von Tierabgängen eine Differenzierung zwischen „lebend abgegangen“ und „verendet/getötet abgegangen“ vorgenommen würde (siehe Abschnitt 2.1.), dann wäre eine rechnerische Verteilung der Verluste auf die Woche denkbar, wodurch sich die Auswirkungen auf die Therapiehäufigkeit reduzieren ließen.

Abbildung 1:

Illustration eines Bestandsverlaufes im klassischen Rein-Raus-Verfahren unter der Annahme einer Verweildauer von 35 Tagen, einer Reinigungsphase von 12 Tagen und einer wöchentlichen Verlustrate von 5 %, wobei die Verluste über die Woche verteilt auftreten. Die Fläche unter dem Bestandsverlauf ergibt dabei die Haltungstiertage, die in den Nenner der betrieblichen Therapiehäufigkeit eingehen. Bei wochengenauer Verlustmeldung (orangener Verlauf) ergibt sich eine größere Fläche als bei tagesgenauer Meldung (blauer Verlauf), wodurch bei gleichbleibender antibiotischer Behandlung die Therapiehäufigkeit sinkt.

Abbildung 2:

Die Abweichung der betrieblichen Therapiehäufigkeit gegenüber tagesgenauer Verlustmeldung ist weitestgehend unabhängig von der Verweildauer. Für drei wöchentliche Tierverlustraten (1 %, 3 %, 5 %) wurde anhand von Bestandsverläufen wie in Abbildung 1 die prozentuale Änderung der Therapiehäufigkeit bestimmt. 

3 Referenzen

Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (2025): Ferkelerzeugung und Ferkelaufzucht – Ein Überblick. www.nutztierhaltung.de/schwein/sau-ferkel/ (Zugriff 05.02.2025).

Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (2024): DLG-Merkblatt 406 - Haltung von Masthühnern. www.dlg.org/mediacenter/dlg-merkblaetter/dlg-merkblatt-406-haltung-von-masthuehnern (Zugriff 05.02.2025).

Landeskontrollverband Schleswig-Holstein (2018): Wie hoch sind die Kälberverluste wirklich? www.lkv-sh.de/home/archiv/281-wie-hoch-sind-die-kaelberverluste-wirklich-rind-im-bild-03-2016 (Zugriff 05.02.2025).