Darum geht es:
Unter Haustierbesitzern kursiert seit Jahrzehnten ein Mythos: Freilaufende Hunde und Katzen würden von dubiosen kriminellen Tierfängern gefangen – und anschließend in Versuchslaboren für Tierversuche missbraucht. „Dabei gibt es hier ein klares Verbot: Für Tierversuche dürfen solche Tiere gar nicht benutzt werden“, erklärt Biologe und Neurowissenschaftler Dr. Philipp Schwedhelm vom Deutschen Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) am BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung. Im BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung-Wissenschaftspodcast „Risiko“ erklärt Schwedhelm die gerade veröffentlichten Zahlen der von ihm betreuten Versuchstierstatistik für das Jahr 2024 und spricht über Mythen um Tierversuche und die Suche nach Alternativen.
Tatsächlich ist die Verwendung von illegal gefangenen Tieren auch wissenschaftlich wenig sinnvoll. „Wir wollen in der Forschung ja immer möglichst standardisierte Bedingungen haben. Und das gilt natürlich dann auch für die Versuchstiere, die verwendet werden“, erklärt Schwedhelm. „Deshalb stammen Versuchstiere in der Regel aus speziellen Zuchten und haben ganz bestimmte genetische Eigenschaften, damit die einzelnen Studien auch jeweils vergleichbar sind.“
Überhaupt gelten für Tierversuche in Deutschland und Europa strenge Regeln zum Schutz der Versuchstiere. Sie sollen sicherstellen, dass unnötiges Tierleid vermieden wird und die Versuche auf das unbedingt nötige Maß beschränkt werden. Für die Entwicklung von Kosmetik sind Tierversuche in Deutschland deshalb schon seit 1998 verboten, seit 2003 auch EU-weit.
Außerdem dürfen Tierversuche überhaupt nur an Einrichtungen durchgeführt werden, die von den zuständigen Landesaufsichtsbehörden geprüft und zugelassen wurden. In der Regel sind das Universitäten, Hochschulen oder andere wissenschaftliche Forschungsinstitute. Für diese grundsätzliche Genehmigung müssen die Einrichtungen Tierschutzbeauftragte ernennen, die auf die Einhaltung von Vorschriften und Auflagen im Sinne des Tierschutzes achten. Die Einrichtungen müssen genügend Personal nachweisen, um die Tiere zu versorgen und die medizinische Versorgung der Tiere sicherstellen. Nur wenn diese grundsätzliche Genehmigung vorliegt, können überhaupt Anträge für bestimmte Tierversuche gestellt werden. „In diesem Antrag muss dann detailliert wissenschaftlich begründet werden, warum dieser Tierversuch unerlässlich ist und man unbedingt ein Tier für diese Fragestellung verwenden muss“, erklärt Schwedhelm. „Der Aufwand, um überhaupt einen Tierversuch durchführen zu dürfen, ist schon beachtlich.“
Auch deshalb suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit nach Alternativmethoden, um Tierversuche so weit wie möglich zu ersetzen. Gearbeitet wird dabei unter anderem mit Zellkulturen oder Gewebemodellen sowie mit Computersimulationen. Besonders spannend sind auch Ansätze, in denen beispielsweise aus Stammzellen in der Petrischale kleine „Mini-Organe“ oder „Organoide“ hergestellt werden. „Mit solchen Alternativmethoden lässt sich sehr viel schneller arbeiten als mit Tierversuchen – und man kann die einzelnen Bedingungen auch besser kontrollieren“, sagt Schwedhelm.
Tatsächlich geht die Anzahl der Tierversuche in Deutschland seit Jahren deutlich zurück. Das zeigt auch die von Schwedhelm betreute Versuchstierstatistik. „Daran hat der zunehmende Einsatz von Alternativmethoden sicherlich einen Anteil“, sagt Schwedhelm. Besonders stark gesunken seien die Tierversuche in den vergangenen zehn Jahren im Bereich der sogenannten Regulatorik, also bei den gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsprüfungen von Medikamenten, Chemikalien und anderen Substanzen. Aber auch in allen anderen Bereichen ist die Zahl der Tierversuche zurückgegangen. „Wir gehen davon aus, dass die Zahlen auch noch weiter sinken.“
Einen kompletten Verzicht auf Tierversuche hält Schwedhelm trotzdem selbst langfristig für wenig wahrscheinlich: „Es gibt einfach Fragestellungen, bei denen werden Sie auch langfristig noch den kompletten Organismus brauchen, um einer bestimmten Frage auf den Grund zu gehen.“
Link zur vollständigen Podcast-Folge:
Externer Link:https://podcast.bfr.bund.de/10-tierversuche-zahlen-mythen-alternativen-010
Zitate und O-Töne aus der Podcast-Folge dürfen bei Quellenangabe frei verwendet werden.
Link zur Versuchstierstatistik für das Jahr 2024:
Externer Link:https://www.bf3r.de/angebote/versuchstierzahlen/versuchstierzahlen-2024/
Über „Risiko – Der BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung-Podcast“:
Tageszeitungen, Nachrichtenportale und Social-Media-Posts warnen ständig vor neuen Gesundheitsgefahren: Weichmacher in Sonnencremes, Mikroplastik im Körper oder angebliche Schadstoffe in Lebensmitteln. Was ist tatsächlich dran an diesen angeblichen Gefahren? Wie groß ist das Risiko für mich persönlich? In unserem Podcast „Risiko“ gehen wir solchen Themen auf den Grund. Unaufgeregt, wissenschaftlich fundiert und gut verständlich. „Risiko“ erscheint etwa einmal pro Monat. Im lockeren Gespräch mit Expertinnen und Experten geht es dann um tatsächliche und vermeintliche Gesundheitsrisiken durch Lebensmittel, Chemikalien oder Verbraucherprodukte.
Über das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung) ist eine wissenschaftlich unabhängige Einrichtung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH). Es schützt die Gesundheit der Menschen präventiv in den Tätigkeitsbereichen des Public Health und des Veterinary Public Health. Das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung berät die Bundesregierung und die Bundes-länder zu Fragen der Lebens- und Futtermittel-, Chemikalien- und Produkt-sicherheit. Das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung betreibt eigene Forschung zu Themen, die in engem Zusammenhang mit seinen Bewertungsaufgaben stehen.
Über das Bf3R
Das Deutsche Zentrum zum Schutz von Versuchstieren (Bf3R) wurde im Jahr 2015 gegründet und ist integraler Bestandteil des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung). Es koordiniert bundesweite Aktivitäten mit den Zielen, Tierversuche auf das unerlässliche Maß zu beschränken und Versuchstieren den bestmöglichen Schutz zu gewähren. Darüber hinaus sollen weltweit Forschungsaktivitäten angeregt und der wissenschaftliche Dialog gefördert werden.