Kategorie Mitteilungen
Mitteilung Nr. 053/2025

Gefahr oder Risiko als Maßstab? Ein Unterschied mit Folgen für die Chemikalienbewertung der EU Internationales Symposium am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung) zur Regulierung von Substanzen

Darum geht es:

Wie kann man chemische Stoffe so regulieren, dass die menschliche Gesundheit effektiv geschützt wird? Diesem Thema widmet sich das Symposium „EU-Chemikalienbewertung: Risiko- oder gefahrenbasiert?“ des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung) am 27. und 28. November 2025. Im Mittelpunkt steht die Frage, warum die gesundheitliche Bewertung einer Chemikalie risiko- und nicht gefahrenbasiert erfolgen sollte.

Beim gefahrenbasierten Ansatz steht die Giftigkeit einer Substanz im Vordergrund. Beim risikobasierten Ansatz wird neben der Giftigkeit auch die mögliche ExpositionExpositionZum Glossareintrag berücksichtigt, also die Frage, wie stark jemand einer Substanz ausgesetzt (exponiert) ist. Entscheidend für die Bewertung ist danach nicht nur die Giftigkeit eines Stoffs, sondern auch seine Dosis. Beides wird bei risikobasierter Bewertung ins Verhältnis gesetzt. Vereinfacht gesagt – ein Stein ist zwar potentiell gefährlich, ein Risiko besteht aber erst dann, wenn er geworfen wird. Die Frage wäre, was man in diesem Kontext regulieren will, den Stein an sich oder das Werfen.

Ob man gefahrenbasiert oder risikobasiert reguliert hat weitreichende Folgen für die Verwendungsfähigkeit von Stoffen und damit für Verbraucher, Wirtschaftsteilnehmer und die Innovations- und Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft als solches.

Chemische Stoffe werden in der Europäischen Union (EU) und weltweit überwiegend risikobasiert reguliert. Dies wird allerdings zunehmend in Frage gestellt, z. T. in der Absicht, Verfahren verwaltungstechnisch zu vereinfachen. Ein Beispiel sind Pestizide, bei denen die Bewertung in wesentlichen Teilen seit Inkrafttreten der aktuellen EU-Verordnungen geändert wurde. Hier dominiert seitdem ein gefahrenbasierter („hazard“-) Ansatz die gesundheitsbezogene Bewertung. Dies führt dazu, dass sowohl bei Chemikalien als auch bei Pestiziden zunehmend auf sogenannte Ausschluss-Kriterien zurückgegriffen wird, unabhängig von tatsächlicher Schädlichkeit, Exposition oder Dosis der Substanz.

Das Beispiel Ethanol als Desinfektionsmittel

Ob dieses Vorgehen mehr Sicherheit für Verbraucherinnen und Verbraucher zur Folge hat, ist fraglich. Ein Beispiel: Ethanol (Trinkalkohol) wird zum Desinfizieren eingesetzt, um Infektionskrankheiten zu vermeiden. Die Exposition, also die „Alkoholdosis“ nach Anwendung ethanolbasierter Desinfektionsmittel z. B. im Krankenhaus oder der Arztpraxis ist äußerst gering. Ethanol müsste aufgrund seiner reproduktionstoxischen und kanzerogenen Eigenschaften aber als Biozidwirkstoff verboten werden. Als Genussmittel, auf dessen Missbrauch sich die entwicklungsschädigenden und krebserregenden Wirkungen beziehen, dürfte es dennoch weiter verkauft werden - bei deutlich höherer „Dosis“ für den Konsumenten.

Durch ein Verbot würde man ein wichtiges Desinfektionsmittel verlieren, das Leben retten kann. Die Exposition gegenüber Ethanol wäre nicht nennenswert verringert, der Schutzeffekt damit unbedeutend. Im Gegenteil: Es ist zu erwarten, dass sich das Risiko von Infektionen etwa im Krankenhaus, in der Pflege im Privathaushalt oder in Altersheimen und Arztpraxen bei einem Verbot ethanolhaltiger Desinfektionsmittel deutlich erhöhen würde. 

Gleiches gilt für ein Verbot der Anwendung von ethanolhaltigen Desinfektionsmitteln im Bereich der Lebensmittelproduktion (Stall, verarbeitende Betriebe, Lebensmittelindustrie). Sofern biozide Alternativprodukte mit anderen Wirkstoffen überhaupt zur Verfügung stehen, könnten diese auch zu höheren Kosten führen und damit z. B. Lebensmittel deutlich verteuern. Bei einer risikobasierten Bewertung von Ethanol, die die Expositionspfade und -höhe berücksichtigt, würden diese gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Risiken vermieden.

Auf dem Symposium werden Beispiele aus dem Bereich Chemikalien, Pflanzenschutzmittel und Biozide diskutiert, bei denen die vereinfachte gefahrenbasierte Bewertung der gesundheitlichen Auswirkungen potentiell mehr schadet als nützt und konkrete Verbesserungsvorschläge erarbeitet.