Kategorie Mitteilungen
Mitteilung Nr. 028/2025

EuGH: Einstufung von Titandioxid als „vermutlich krebserzeugend beim Einatmen“ bleibt nichtig

Darum geht es:

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestätigt die Entscheidung des Europäischen Gerichts (EuG): Die Einstufung von Titandioxid in Pulverform als „vermutlich krebserzeugend beim Einatmen“ ist damit nichtig.

Zum Hintergrund: Die EU-Kommission hat Titandioxid in Pulverform im Jahr 2020 als „vermutlich krebserzeugend beim Einatmen“ eingestuft. Der Stoff wurde daraufhin in die CLP-Verordnung (EG) Nr. 1271/2008 aufgenommen, welche die EU-weite Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Chemikalien regelt. Diese Einstufung betraf ausschließlich Partikel, die beim Einatmen in die Lunge gelangen können.

Das Gericht der Europäischen Union (EuG) erklärte diese Entscheidung 2022 wegen methodischer Mängel der zugrunde liegenden Studien und Verstößen gegen die CLP-Verordnung für nichtig. Gegen dieses Urteil wurde Widerspruch eingelegt. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung) hat aufgrund von Anfragen folgende Informationen zu Titandioxid zusammengestellt.

Titandioxid (TiO₂kurz fürTitandioxid) wird weltweit im Millionen-Tonnen-Maßstab produziert. Der Großteil des hergestellten TiO₂kurz fürTitandioxid wird in technischen Anwendungsgebieten, wie der Herstellung von Farben, Lacken, Papier und Kunststoffen verwendet. Unter der Bezeichnung CI 77891 ist der Stoff als Weißpigment in Kosmetikprodukten wie z. B. Zahnpasta enthalten. TiO₂kurz fürTitandioxid wird zudem als Filter zum Schutz vor ultravioletter Strahlung in Sonnenschutzmitteln eingesetzt. Bis zum Jahr 2022 war TiO₂kurz fürTitandioxid auch als Lebensmittelzusatzstoff E 171 zugelassen. 

Die aktuelle Studienlage zu TiO₂kurz fürTitandioxid hinsichtlich Genotoxizität (Schädigung des Erbguts) und Kanzerogenität (krebserzeugendes Potenzial) ist komplex und nicht eindeutig.

Genotoxizität

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)) hat in ihrer Risikobewertung von 2021 festgestellt, dass ein genotoxisches Potenzial von TiO₂kurz fürTitandioxid nicht ausgeschlossen werden kann. Die damit verbleibende Unsicherheit führte dazu, dass TiO₂kurz fürTitandioxid als Lebensmittelzusatzstoff E 171 die Zulassung EU-weit entzogen wurde. Seit dem 08. August 2022 dürfen Lebensmittel, die E 171 enthalten, nicht mehr in Verkehr gelangen.

Kanzerogenität

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) stufte TiO₂kurz fürTitandioxid im Jahr 2006 als „möglicherweise krebserzeugend für den Menschen“ (Kategorie 2B) ein. Diese Einstufung basiert auf Tierversuchen, in denen Lungenkrebs nach Inhalation hoher Dosen von lungengängigen TiO₂kurz fürTitandioxid-Partikeln (< 10 μm) nachgewiesen wurde.

Im Rahmen der CLP-Verordnung (EG) Nr 1271/2008, die die EU-weite Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Chemikalien regelt, hat die EU-Kommission TiO₂kurz fürTitandioxid in Pulverform im Jahr 2020 harmonisiert eingestuft, als „vermutlich krebserzeugend beim Einatmen“ (Kategorie 2, H351i). Eine harmonisierte Einstufung ist eine legal verbindliche Einstufung eines Stoffes, welcher daraufhin in den Anhang VI der CLP-Verordnung aufgenommen wird. Allerdings bezog sich die harmonisierte Einstufung zur krebserzeugenden Wirkung ausschließlich auf die inhalative Aufnahme lungengängiger Partikel. 

Diese Entscheidung wurde jedoch im Jahr 2022 vom Gericht der Europäischen Union (EuG) für nichtig erklärt, da die zugrunde liegenden wissenschaftlichen Studien methodische Schwächen aufwiesen (z. B. unzureichende Berücksichtigung der Lungenüberlastung und der Partikeleigenschaften). Gegen dieses Urteil wurde Widerspruch eingelegt.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zwischen der Risikobewertung und einer Bewertung der Gefahrenpotenziale zu unterscheiden: Für eine Risikobewertung werden stets schädliche Wirkungen für die menschliche Gesundheit (Gefahrenpotenziale) zusammen mit einer Expositionsbetrachtung (einschließlich der Betrachtung von Expositionsrouten, -mengen, -dauer etc.) berücksichtigt. Für eine Einstufung entsprechend der CLP-Verordnung werden nur die Gefahrenpotenziale betrachtet. Es geht bei der Einstufung um Gefahrenklassen (d. h. welche schädlichen Wirkungen sind möglich) und um Gefahrenkategorien (Schwere der möglichen Schädigung). Bewertungen nach CLP-Verordnung sind keine Risikobewertungen und lassen keinen pauschalen Schluss bezüglich eines tatsächlichen gesundheitlichen Risikos zu. 

Studienlage

Die Studienlage zu TiO₂kurz fürTitandioxid ist aus mehreren Gründen nicht klar und eindeutig. Die vorhandenen Studien unterscheiden sich in der Methodik. Einige Studien beschreiben Untersuchungen im Tierversuch (in vivo), andere Untersuchungen an im Labor kultivierten Zellen (in vitro). Die jeweils untersuchten TiO₂kurz fürTitandioxid-Partikel unterscheiden sich zudem in verschiedenen Partikeleigenschaften wie z. B. Partikelgröße, Kristallstruktur und/oder Oberflächenbeschichtung. Weiterhin gibt es Unterschiede in den Studien zu jeweils betrachteten Expositionspfaden (orale, dermale, inhalative Verabreichung), den konkret applizierten Dosen sowie in der Verabreichungsform.

Partikelspezifische Besonderheiten sind allerdings nicht nur im Nachgang in der Bewertung der Studien zu berücksichtigen, sondern sollten bereits beim Studiendesign und bei der Studiendurchführung beachtet werden. Dies erfolgt nicht immer in ausreichendem Maße. Die Bewertungen von Studien mit Partikeln sind daher stets zeitaufwändiger und komplizierter/komplexer als vergleichbare Studien mit löslichen Stoffen.

Das EuG kritisierte 2022 methodische Unsicherheiten in den Studien, die als Basis für die rechtliche Einstufung der EU-Kommission dienten. Beispielsweise wurde in der Urteilsbegründung in Abrede gestellt, dass TiO₂kurz fürTitandioxid die intrinsische Eigenschaft besitzt, Krebs zu erzeugen. Ein krebserzeugendes Potenzial von TiO₂kurz fürTitandioxid ist nur unter sehr spezifischen Bedingungen gegeben (z. B. dem Vorhandensein lungengängiger Partikel in großen Mengen bei gleichzeitiger Überlastung der Lungenreinigungsfunktion). Das Gericht unterstreicht die Notwendigkeit, Wirkmechanismen im Menschen klar von kontextabhängigen Effekten (z. B. Partikeltoxizität) zu unterscheiden, siehe Externer Link:Urteilsbegründung.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung) hat bereits Informationen zur Studienlage in seinen Externer Link:Fragen und Antworten zu Titandioxid zusammengestellt.

Partikelgröße

Die Größe der TiO₂kurz fürTitandioxid-Partikel ist ein entscheidender Faktor, da konkret – im Kontext der harmonisierten Einstufung nach der CLP-Verordnung – von der Größe der Partikel abhängt, ob sie einatembar sind, und falls ja, wie tief die Partikel in die Lunge eindringen können. Relevant hierfür ist der aerodynamische Durchmesser. Unterschieden werden:

a) Größere Partikel (> 10 μm):

Partikel dieser Größe sind nichtlungengängig und gelten als weniger problematisch, da sie in den oberen Atemwegen zurückgehalten werden und nachfolgend abgehustet werden.

b) Lungengängige Partikel (≤ 10 µmkurz fürMikrometer):

Partikel mit einem aerodynamischen Durchmesser von ≤ 10 µmkurz fürMikrometer können eingeatmet werden und in der Lunge Entzündungen oder Fibrose auslösen.

c) Partikel mit einer Größe kleiner 100 nmkurz fürNanometer (Nanopartikel):

Diese Partikel können noch tiefer in die Lunge eindringen (in die alveoläre Region) und dort Entzündungen oder mechanische Schäden verursachen.

Die harmonisierte Einstufung von TiO2 zielt auf Partikelgrößen ab, die einatembar sind und in Tierversuchen in der Lage waren, Lungenkrebs zu verursachen.

Risiken je nach Aufnahmeweg

Die potenziellen Risiken von TiO₂kurz fürTitandioxid variieren stark je nach Expositionsweg und sind bereits in den Externer Link:Fragen und Antworten des BfR zu Titandioxid beschrieben.

Inhalation (Einatmung)

Das höchste Risiko für eine potenzielle Aufnahme besteht bei der Inhalation. Dies betrifft lungengängige Partikel (≤ 10 µmkurz fürMikrometer) und Nanopartikel. Tierversuche zeigten Lungenentzündungen, Fibrosen und, wenn sehr hohe Dosen über einen längeren Zeitraum verabreicht wurden, Lungenkrebs. Der postulierte Wirkmechanismus beinhaltet eine Überlastung der Lunge mit zu vielen Partikeln und der damit einhergehenden Lungenreinigungsfunktion. Siehe dazu auch Externer Link:die Hilfestellung zur Anwendung der harmonisierten Titandioxideinstufung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA).

Orale Aufnahme

Die EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) (2021) führte in ihrer Bewertung an, dass vor allem kleinere Partikel über den Magen-Darm-Trakt aufgenommen werden können und damit systemisch verfügbar sind. Diese Partikel lösen sich nicht auf, d. h. sie sind biopersistent. Darüber hinaus ließ sich eine erbgutschädigende (genotoxische) Wirkung nicht ausschließen.

Hautkontakt

TiO₂kurz fürTitandioxid wird über intakte Haut nicht aufgenommen, weder in Mikro- noch in Nanoform. Studien zeigen keine systemischen Effekte bei dermaler Anwendung (z. B. in Sonnencremes). Ein gesundheitliches Risiko ist daher nicht gegeben.

Sonnencremes

Auf Grundlage der verfügbaren Erkenntnisse sind bei Nano-TiO₂kurz fürTitandioxid als UV-Filter gesundheitliche Beeinträchtigungen in einer Konzentration von bis zu 25 Prozent in Sonnenschutzmitteln nicht zu erwarten. Studien belegen, dass Nano-TiO₂kurz fürTitandioxid in den Formen, wie sie in kosmetischen Mitteln verwendet werden, nicht in den menschlichen Blutkreislauf eindringen kann.

Der Einsatz von TiO2 in Sonnenschutzmitteln ist vom wissenschaftlichen Komitee der EU-Kommission (SCCS) bewertet worden und in der EU-Kosmetikverordnung EG (Nr.) 1223/2009 reguliert (Anhang VI, lfd. Nr. 27 bzw. 27a). Danach ist TiO₂kurz fürTitandioxid nicht generell in Sprays verboten, sondern nur in solchen, die aufgrund der (kleinen) Partikelgröße durch Inhalation zur ExpositionExpositionZum Glossareintrag der Lunge der Endnutzer führen können. Es gibt auch Sprays (z. B. Pumpsprays), bei denen die Partikel so groß sind, dass die tiefere Lunge nicht erreicht wird und demnach auch keine inhalative Exposition stattfindet.

Zahnpasta

Der Einsatz von TiO₂kurz fürTitandioxid in Zahncremes wird zurzeit vom SCCS neu bewertet. Diese Bewertung ist noch nicht abgeschlossen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung) kommentiert SCCS-Bewertungen während des laufenden Prozesses nicht. Aus einer im Jahr 2024 veröffentlichten Externer Link:Stellungnahme des SCCS geht aber hervor, dass die TiO₂kurz fürTitandioxid-Varianten, die in kosmetischen Mittel verwendet werden sollen, sich von E 171, also dem Material, das in der EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)-Stellungnahme betrachtet wurde, unterscheiden.

Arzneimittel

Arzneimitteln wird TiO2 (E 171) zum Zwecke der Färbung beigefügt. Diese Anwendung ist in der EU entsprechend der Richtlinie 2009/35/EG über Stoffe, die Arzneimitteln zum Zwecke der Färbung hinzugefügt werden dürfen, weiterhin zulässig. Ein entsprechender Querverweis wurde in der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 über Lebensmittelzusatzstoffe in Anhang B, Teil 2 (enthält eine Liste aller Zusatzstoffe) dem Eintrag zu TiO2 (E 171) über eine Fußnote hinzugefügt.

Für weitere Fragen zu Arzneimitteln wird auf die Zuständigkeit des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verwiesen.