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Kategorie Fragen und Antworten

Kann eine chemische Dekontamination helfen, Geflügelfleisch „keimarm“ zu machen?

Darum geht es:

Geflügelfleisch ist im Vergleich zu anderen Lebensmitteln relativ häufig mit Krankheitserregern wie Campylobacter oder Salmonellen belastet. Diese können beim Menschen Magen-Darm-Erkrankungen verursachen. Die Erreger besiedeln bereits die lebenden Tiere und können im Schlachtprozess durch Kreuzkontamination auf das Fleisch übertragen werden.

Um Infektionen durch belastete Lebensmittel zu vermeiden, sollte von der Aufzucht der Tiere über den Schlachtprozess bis zum Vertrieb ein ganzheitliches Hygienekonzept verfolgt werden. Wo diese Maßnahmen nicht ausreichen, könnte der Einsatz von Dekontaminationsverfahren diese Strategien unterstützen.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung) hat im Folgenden Fragen und Antworten zum Thema zusammengestellt.

Fragen und Antworten zur chemischen Dekontamination von Geflügelfleisch

Das Vorkommen von Krankheitserregern wie Salmonellen oder Campylobacter spp. ist eine Gesundheitsgefahr für Verbraucherinnen und Verbraucher. In den vergangenen Jahren verzeichnete das Robert Koch-Institut (RKI) beispielsweise zu Campylobacter-Erkrankungen in Deutschland zwischen 40.000 und 50.000 Fälle im Jahr (Externer Link:https://survstat.rki.de).

Die Erkrankungen können vielfach auf den Verzehr von kontaminiertem Geflügelfleisch zurückgeführt werden. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)) ermittelte für 2010 aus den Daten zurückliegender Untersuchungen, dass circa 20 bis 30 % der humanen Campylobacteriosen auf den Verzehr von Geflügelfleisch zurückzuführen waren.

Die Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 über mikrobiologische Kriterien für Lebensmittel gelten auch für Geflügelfleisch. So ist in dieser Verordnung ein Lebensmittelsicherheitskriterium für die Salmonellen-Serotypen Salmonella Enteritidis und Typhimurium enthalten, die bei einem Stichprobenumfang von n=5 in 25 Gramm des untersuchten Fleisches nicht enthalten sein dürfen.

Um die hohen Erkrankungszahlen bei Menschen aufgrund von Infektionen mit dem Bakterium zu senken, wurde darüber hinaus seit 2018 EU-weit ein Prozesshygienekriterium für Campylobacter spp. eingeführt. Es soll dazu beitragen, dass Geflügelfleisch mit hohen Keimzahlen von Campylobacter pro Gramm Fleisch immer seltener in den Verkauf gelangt. Sollten dennoch hohe Campylobacter-Gehalte (mehr als 1.000 Kolonien je Gramm einer Probe Halshaut nach der Kühlung in 10 aus 50 Proben über 10 Wochen) nachgewiesen werden, ist das Lebensmittelunternehmen zur Verbesserung der Hygiene verpflichtet.

Lebensmittelunternehmen sind schon jetzt verpflichtet, den Schlachtprozess unter den bestmöglichen hygienischen Bedingungen durchzuführen.

Bislang werden mehrere Strategien gegen krankmachende Mikroorganismen in und auf Geflügelfleisch verfolgt. Dazu gehören:

  • höchste Sorgfalt bei Aufzucht und Mast von Geflügel,
  • hygienische Bedingungen bei allen Schlachtschritten,
  • schnelle und effektive Kühlung,
  • zielgerichtete Reinigung und Desinfektion von Schlachtmaschinen und Schlachtausrüstung mit Produktkontakt.

Zur Verbesserung dieser Strategien wurde in den letzten Jahren gezielt Forschung betrieben, an der auch das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung beteiligt war (siehe unten, „Weitere Informationen zur Forschung über den hygienischen Umgang mit Geflügelfleisch“).

Mit dem Begriff der „chemischen Dekontamination“ von Lebensmitteln ist der Einsatz von antimikrobiellen Stoffen wie Chlordioxid oder Peroxyessigsäure gemeint, die zur Reduzierung des Keimgehaltes von Salmonellen oder Campylobacter eingesetzt werden können.

Bisherige Hygienemaßnahmen haben nicht ausgereicht, um insbesondere das Vorkommen von Campylobacter spp. auf Geflügelfleisch zu senken. Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten jedoch allgemein, dass Lebensmittel sicher und gesundheitlich unbedenklich sind. Demgegenüber scheinen Maßnahmen der Küchenhygiene zum Schutz vor Lebensmittelinfektionen im eigenen Haushalt nicht ausreichend beachtet zu werden, denn die Erkrankungen werden überwiegend hier erworben.

Wie Statistiken der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)) und des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDCkurz fürEuropean Centre for Disease Prevention and Control (Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten)) zeigen, wurden beispielsweise im Jahr 2023 fast 150.000 humane Campylobacteriose-Fälle in der EU gemeldet. 24 % der gemeldeten Fälle mussten stationär behandelt werden (s. u., „Weitere Informationen zur Forschung über den hygienischen Umgang mit Geflügelfleisch“: The European Union One Health 2023 Zoonoses report, FSA Journal 2024).

Derzeit ist lediglich die Verwendung von Trinkwasser zur Entfernung von Oberflächenverunreinigungen auf Geflügelfleisch zugelassen. Dekontaminationsmittel sind für Geflügelfleisch bislang nicht erlaubt.

Bereits vor über 20 Jahren hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die Verwendung von Peroxyessigsäure für die Dekontamination von Geflügelfleisch als zusätzliche Maßnahme zur Verbesserung der Geflügelfleischhygiene unter bestimmten Bedingungen zu erlauben.

Um der Entwicklung von Resistenzen und der Bildung von Rückständen vorzubeugen, sieht der EU-Vorschlag für den Einsatz von Peroxyessigsäure zudem entsprechende Konzentrationen und Einwirkzeiten vor und gibt Kontrollparameter an, die Lebensmittelunternehmen zum Monitoring der von ihnen getroffenen Hygiene- sowie Dekontaminationsmaßnahmen verpflichten.

Der EU-Vorschlag betont aber besonders die Bedeutung von Hygienemaßnahmen bei der Erzeugung von Geflügelfleisch. Diese Hygienemaßnahmen im Sinne eines Hürdenkonzeptes seien nach wie vor von allergrößter Bedeutung und Dekontaminationsmaßnahmen könnten diese nicht ersetzen. Vielmehr sollten konventionelle Hygieneanforderungen und -möglichkeiten über den gesamten Haltungs-, Mast-, Transport- und Schlachtprozess mit einem zusätzlichen Dekontaminationsverfahren verknüpft werden. Bisher hat die Europäische Union sich aber nicht für die Einführung einer chemischen Dekontamination von Geflügelfleisch entschieden.

Die Verordnung (EG) Nr. 853/2004 mit spezifischen Vorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs sieht vor, dass neben Trinkwasser nur solche Stoffe zur Entfernung von Oberflächenverunreinigungen verwendet werden dürfen, deren Verwendung von der EU- Kommission genehmigt wurde. So ist in der EU nur Milchsäure als Dekontaminationsmittel für die Anwendung auf Rinderschlachthälften zugelassen.

Eine toxikologische Bewertung von Dekontaminationsmitteln für Fleisch wird prinzipiell ähnlich vorgenommen wie bei Verarbeitungshilfsstoffen (processing aids), Lebensmittelzusatzstoffen oder Bioziden, zu denen auch die Desinfektions- und Dekontaminationsmittel gehören.

Im Detail gelten für diese Stoffe jedoch unterschiedliche Prüfanforderungen und Bewertungskriterien. Für Dekontaminationsmittel hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)) einen Leitfaden mit Bewertungskriterien vorgelegt (Externer Link:http://www.efsa.europa.eu/sites/default/files/scientific_output/files/main_documents/1544.pdf).

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)) hat sich 2014 mit der Dekontamination von Geflügelfleisch befasst. Sie bewertete die Sicherheit und WirksamkeitPositiver prädiktiver WertZum Glossareintrag von Peroxyessigsäure als Dekontaminationsmittel mit dem Ergebnis, dass das Verfahren eine geeignete zusätzliche Reduktionsmöglichkeit für krankmachende Erreger darstellt. Aus toxikologischer Sicht sind bei der Anwendung von Peroxyessigsäure zur Reduzierung der Keimbelastung auf Geflügelfleisch Gesundheitsrisiken für die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht zu erwarten (s. u., „Weitere Informationen zur Forschung über den hygienischen Umgang mit Geflügelfleisch“: EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) BIOHAZ Panel (EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) Panel on Biological Hazards), EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) Journal 2014).

Grundsätzlich muss das ideale Dekontaminationsmittel ein breites Wirkungsspektrum oder eine hohe selektive Wirkung gegenüber Bakterien aufweisen.

Das ideale Dekontaminationsmittel sollte eine schnelle und irreversible Wirkung in der Gebrauchsverdünnung zeigen und einen geringen Wirkungsverlust durch Milieueinflüsse (beispielsweise Eiweiß, pH-Wert oder Temperatur) haben. Weiterhin sollte das Mittel zum Zeitpunkt des Verzehrs im Lebensmittel nicht mehr vorhanden sein. Es sollte zudem die Oberflächen der Lebensmittel nicht negativ beeinflussen und gute Anwendungseigenschaften haben.

Eine Resistenzentwicklung von Bakterien gegenüber Wirkstoffen zur Dekontamination und Desinfektion wird gleichermaßen kritisch gesehen. Dabei ist nicht nur die Resistenzentwicklung gegen die betreffende Substanz zu berücksichtigen, sondern auch die Gefahr, dass die krankmachenden Keime auch resistent gegen bestimmte Antibiotika werden können (Kreuzresistenz).

Um einer Resistenzentwicklung von Keimen gegen Peroxyessigsäure vorzubeugen, schreibt der EU-Vorschlag für die Anwendung dieses Stoffes zur Dekontamination die notwendigen Konzentrationen und Einwirkzeiten vor und gibt im Rahmen der betrieblichen Eigenkontrollsysteme Parameter vor, die die Lebensmittelunternehmen zum Monitoring verpflichten (s. u., „Weitere Informationen zur Forschung über den hygienischen Umgang mit Geflügelfleisch“: EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) BIOHAZ Panel (EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) Panel on Biological Hazards), EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) Journal 2014).

Mit der Anwendung von Dekontaminationsverfahren können je nach verwendeter Substanz neben den erwünschten hygienischen Effekten auch unterschiedliche sensorische Qualitäts-abweichungen wie Farb-, Aroma- und Strukturveränderungen auftreten. Für die Akzeptanz solcher Abweichungen ist die Zweckbestimmung des behandelten Fleisches entscheidend. Die bei Dekontaminationsmaßnahmen beschriebenen Farbveränderungen werden durch das Verfahren selbst und die Fleischbestandteile (Muskel, Fett, Sehnen etc.) bestimmt. Muskelgewebe kann zum Beispiel nach einer Behandlung vergrauen, verblassen oder bräunliche Farbabweichungen annehmen. Auch das Aroma kann sich unter dem Einfluss von Dekontaminationsmitteln verändern. Die reduzierte (Verderbnis-)Keimflora kann zwar zu einer verlängerten Haltbarkeit durch das spätere Einsetzen des bakteriellen Verderbs führen, andererseits kann aber auch das Fett durch Oxidationsprozesse schneller ranzig werden.

Dem BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung sind allerdings bislang keine Untersuchungsergebnisse zu sensorischen Veränderungen von Geflügelfleisch infolge einer Behandlung mit Peroxyessigsäure bekannt.

Aus Sicht des BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung ist die alleinige Anwendung von chemischen Stoffen zur Gewinnung eines „keimarmen“ Lebensmittels für die Verbesserung der Lebensmittelsicherheit nicht ausreichend. Die chemische Dekontamination könnte ein weiterer Baustein in einer Reihe notwendiger Maßnahmen sein (Hürdenkonzept), an deren Anfang die gute Hygiene im Geflügelbestand und im Schlachthof mit dem Ziel einer möglichst geringen Belastung mit Krankheitserregern steht.

Wichtige Voraussetzung für die Anwendung von Dekontaminationsmitteln ist, dass die gesundheitliche Unbedenklichkeit sichergestellt sein muss. Dazu forscht das BfRkurz fürBundesinstitut für Risikobewertung und bewertet mögliche Gesundheitsrisiken.