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Zur Problematik der Fluorchinolon-Resistenz
A/2002, 18.02.2002
Antibiotika werden eingesetzt, um bakterielle Infektionen zu verhüten, ihre Ausbreitung zu verhindern oder sie zu behandeln. Bei lebensmittelliefernden Tieren werden Antibiotika auch noch als Futterzusatzstoffe (sogenannte Wachstumsförderer) eingesetzt. Antibiotika hemmen das Wachstum von Keimen oder töten sie ab. Jeder Einsatz von antibiotisch wirksamen Substanzen beim Tier oder beim Menschen führt zu einer Selektion resistenter Keime. Resistente Keime können ihrerseits die Wirksamkeit von Antibiotika erheblich einschränken. Insbesondere wenn davon sogenannte "Reserveantibiotika" (Antibiotika, die eingesetzt werden, wenn sich andere Substanzen, z.B. aufgrund von Resistenzen, als unwirksam erweisen) betroffen sind, kann diese Wirksamkeitseinbuße lebensbedrohlich sein. Begünstigt wird die Resistenzentwicklung z.B. durch die unkontrollierte Gabe von Antibiotika oder durch die Gabe von subtherapeutischen (also für eine wirksame Therapie nicht ausreichenden) Mengen.
Resistenzübertragung
Resistente Keime können zwischen Tieren, zwischen Menschen oder über kontaminierte Lebensmittel vom Tier auf den Menschen übertragen werden. Neben der Exposition gegenüber resistenten Keimen auf Reisen (insbesondere in Länder der Dritten Welt) und der Resistenzausbildung durch den Einsatz von Antibiotika in der Humanmedizin hat der "Lebensmittelpfad" in den letzten Jahren als möglicher Übertragungsweg an Bedeutung zugenommen. Hierüber können z.B. Keime übertragen werden, die beim Tier zur "normalen" Darmflora gehören und keine Krankheitssymptome verursachen, beim Menschen aber schwere Infektionen auslösen können. Erst bei Behandlung dieser Menschen erweisen sich Arzneimittel dann als unwirksam. In den Industriestaaten gilt die Übertragung resistenter Keime durch kontaminierte Lebensmittel inzwischen als eine der Ursachen für die Unwirksamkeit von Antibiotika, die zur Behandlung von Lebensmittelinfektionen eingesetzt werden.
Eine Zunahme der Resistenzen wurde für verschiedene Keime nachgewiesen, darunter Campylobacter und bestimmte Salmonella-Typen. Beide können beim Menschen mehr oder weniger schwere Magen-Darminfektionen auslösen.
Bisherige Maßnahmen gegen die Ausbreitung einer Antibiotika-Resistenz
Neben anderen Institutionen hat sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) besorgt über die weltweite Entwicklung der Resistenzsituation gegenüber Antibiotika geäußert und gewarnt, dass therapeutische Alternativen zu den heute eingesetzten Substanzen nicht in Sicht sind. 1995 hat das BgVV zu diesem Thema eine erste internationale Expertenanhörung durchgeführt. Gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut hat sich das BgVV damals gegen die Anwendung des Glykopeptid-Antibiotikums Avoparcin in der Tierernährung ausgesprochen, weil die Ausbreitung einer Glykopeptid-Resistenz gefördert wird und die Gefahr der Einschränkung von Therapiemöglichkeiten in der Humanmedizin besteht (vgl. bgvv-p 10/95). 1996 wurde die Anwendung des Futterzusatzstoffes auf Empfehlung des BgVV in Deutschland verboten (vgl. bgvv-p01/96). Seit 1997 gilt dieses Verbot europaweit. Auch für die übrigen, heute noch als Wachstumsförderer zugelassenen Antibiotika plant die Europäische Kommission ein Verbot ab dem Jahre 2006.
Das BgVV beurteilt auch den weit verbreiteten routinemäßigen prophylaktischen Einsatz von Antibiotika im Bereich der Tierhaltung kritisch und warnt, dass auch aus der Anwendung von Fütterungsarzneimitteln in subtherapeutischen Dosen die Gefahr einer Selektion resistenter Keime resultiert (vgl. bgvv-p 07/97). Selbstverständlich hat nicht nur der Mensch, sondern auch das Tier einen ethischen Anspruch auf Therapie durch den behandelnden Tierarzt. Reserveantibiotika der Humanmedizin sollten nach Ansicht des BgVV dennoch nur deutlich eingeschränkt als Tierarzneimittel angewendet werden.
Fluorchinolone
Bei den Fluorchinolonen handelt es sich um eine Gruppe synthetisch hergestellter Antibiotika, die seit rund 15 Jahren weltweit eingesetzt werden. Sie gelten als besonders wertvoll, weil sie bei einem breiten Spektrum von Krankheitskeimen (Shigellen, Salmonellen, E. coli, Klebsiellen und andere Enterobacteriaceen) wirken und vergleichsweise wenig unerwünschte Nebenwirkungen verursachen. Wie die Glykopeptidantibiotika gelten die Fluorchinolone als "Reserveantibiotika". Seit den 90er Jahren sind Fluorchinolone auch als Tierarzneimittel zugelassen. In Deutschland werden sie bei Schweinen, Rindern und vor allem bei Geflügel eingesetzt. Die Anwendung erfolgt sowohl am Einzeltier als auch für den Bestand über das Trinkwasser. Speziell diese Anwendungsform gilt im Hinblick auf die Resistenzausbildung als kritisch, weil in großem Umfang auch Tiere behandelt werden, die (noch) nicht krank sind und weil die verabreichten Antibiotikamengen mit der aufgenommenen Wassermenge variieren. Die Aufnahme resistenzfördernder subtherapeutischer Dosen wird damit wahrscheinlich.
Fluorchinolon-Resistenz
Seit der Zulassung von Fluorchinolonen für die Anwendung am Tier und insbesondere beim Nutzgeflügel ist ein Anstieg resistenter Keime sowohl beim Tier als auch beim Menschen beobachtet worden. In den USA nennt die FDA kontaminiertes Geflügel und Geflügelprodukte als bedeutsamste Quelle für die Übertragung Fluorchinolon resistenter Campylobacter-Keime und Salmonella-Spezies. Im Rahmen einer umfangreichen Risikobewertung hat die FDA den zeitlichen Zusammenhang zwischen der breiten Anwendung von Fluorchinolonen bei Geflügel und der Ausbreitung resistenter Keime beim Menschen als wissenschaftlich belegt eingestuft. Wegen der hohen Bedeutung der Fluorchinolone in der Humantherapie erwägt die FDA derzeit eine Rücknahme der Zulassung für die Anwendung von Fluorchinolonen bei Geflügel.
Anlass des Expertengesprächs
Auch in Deutschland gibt es Hinweise darauf, dass die Zahl Fluorchinolon resistenter Keime steigt. Das heutige Expertengespräch soll dazu dienen zu klären, ob sich aus der beobachteten Zunahme der Resistenz ein Handlungsbedarf für den Bereich der Veterinär- und/oder der Humanmedizin ergibt.