Chlorparaffine: In Deutschland und der EU werden nur geringe Mengen der Chemikalien aufgenommen Gesundheitliche Beeinträchtigungen nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht zu erwarten
Ersetzt die Stellungnahme „Risikobewertung kurzkettiger Chlorparaffine als Textilhilfsstoffe für Bekleidung und vergleichbare Bedarfsgegenstände“ vom 18. November 2002
Darum geht es:
Chlorparaffine (CP) sind Chemikalien, die unter anderem als Flammschutzmittel, Weichmacher oder als Zusatzstoff in Schmiermitteln, Farben und Beschichtungen eingesetzt werden. Aufgrund der jahrzehntelangen weltweiten Herstellung und der hohen Produktionsmengen sind sie heutzutage fast überall zu finden. Sie werden in der Umwelt nur sehr langsam abgebaut und reichern sich in der Nahrungskette und in Gewebe an. Deshalb wird ihre Verwendung seit langem wissenschaftlich und regulatorisch begleitet. Seit dem Jahr 2012 ist die Verwendung kurzkettiger CP in Europa verboten. In wissenschaftlichen Studien wurde gezeigt, dass die chronische (lebenslange) Aufnahme sehr hoher Mengen dieser kurzkettigen CP Tumore in Versuchstieren erzeugen kann. Für die mittelkettigen Vertreter der Stoffgruppe wird ein EU-weites Verbot folgen, Hinweise auf eine tumorerzeugende Wirkung gibt es derzeit nicht.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die täglichen Aufnahmemengen an kurz- und mittelkettigen CP in Europa so niedrig sind, dass sie nach derzeitigem Kenntnisstand keinen Anlass zur Besorgnis geben. Die aufgenommenen Mengen liegen weit unterhalb der Mengen, die ein Leben lang aufgenommen werden können, ohne dass gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erwarten sind.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)) hatte kurz- und mittelkettige CP zuletzt im Jahr 2020 bewertet. Eine Überarbeitung der Stellungnahme erscheint sinnvoll, da in den letzten Jahren viele neue Daten erhoben und offene Fragen geklärt werden konnten, insbesondere zum Vorkommen der CP, aber auch zu toxikologischen Wirkungen.
Chlorparaffine (CP), auch als polychlorierte Alkane bezeichnet, bestehen im Allgemeinen aus einer linearen Kohlenwasserstoffkette, bei der einige Wasserstoffatome durch Chloratome ersetzt sind. Der Chlorierungsgrad kann zwischen 30 und 70 Prozent variieren. Man teilt die CP je nach Kettenlänge in kurzkettige (SCCP; C10-13), mittelkettige (MCCP; C14-17) und langkettige CP (LCCP; C>17) ein. Die physikalisch-chemischen Eigenschaften der CP werden durch die Kettenlänge und den Chlorierungsgrad bestimmt. CP werden häufig als Flammschutzmittel, Weichmacher oder als andere Zusatzstoffe in Kunststoffen wie Polyvinylchlorid (PVC), Farben, Beschichtungen oder Fugendichtmassen eingesetzt. In der Metallverarbeitung werden sie als Kühl- und Schmiermittel verwendet. Einer Studie zufolge wurden zwischen den Jahren 1930 und 2020 weltweit ungefähr 33 Millionen Tonnen CP produziert und verwendet. Ein großer Teil davon ist wahrscheinlich in die Umwelt gelangt. Folglich werden CP heutzutage in Luft, Wasser, Böden und Hausstaub sowie in verschiedenen Nahrungsmitteln und Bedarfsgegenständen nachgewiesen.
Menschen nehmen CP vor allem über Nahrungsmittel, aber auch über die Luft oder Hausstaub auf. Sie können im Körper von Menschen und Tieren abgebaut werden, allerdings nur sehr langsam, sodass eine Anreicherung in Geweben und in der Nahrungskette zu beobachten ist. Beim Menschen werden CP auch in Blut und Muttermilch nachgewiesen.
Die EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) hat die gesundheitlichen Risiken durch kurz- oder mittelkettige CP im Jahr 2020 bewertet. Die langkettigen CP konnten auf Grund fehlender Daten nicht bewertet werden. Bei einer täglichen Aufnahme von kurz- und mittelkettigen CP über die Nahrung über einen längeren Zeitraum wurden im Tierversuch Veränderungen in der Leber, der Niere und der Schilddrüse beobachtet. Auf Grundlage der Nierenveränderungen in Ratten, die CP über das Futter aufnahmen, hat die EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) eine Menge an SCCP bzw. MCCP berechnet, die als Referenzpunkte für die Gefahrencharakterisierung dienen. Sie liegt für SCCP bei 2,3 Milligramm (mgkurz fürMilligramm) pro Kilogramm (kgkurz fürKilogramm) Körpergewicht (KG) pro Tag und für MCCP bei 36 mgkurz fürMilligramm/kgkurz fürKilogramm KG. Für die Beurteilung eines möglichen Risikos werden diese Werte mit der Aufnahmemenge verglichen. Beträgt der Abstand zwischen dem Referenzpunkt und der lebenslangen Aufnahmemenge von CP mehr als 1000, wird die Wahrscheinlichkeit für eine gesundheitliche Beeinträchtigung als sehr niedrig eingeschätzt. In den vergangenen Jahren wurden die täglichen Aufnahme-Mengen der CP über verschiedene Lebensmittel und Hausstaub (oral) veröffentlicht, sowie die Gesamtexposition abgeschätzt.
Die Mengen, die Menschen aus Messungen und Berechnungen zufolge über die Luft und über die Nahrung in Europa täglich aufnehmen, liegen deutlich (um das Zehntausendfache) unter den oben genannten Referenzpunkten. Sie betragen im Fall von SCCP bei Säuglingen 0,135 Mikrogramm (µgkurz fürMikrogramm)/kgkurz fürKilogramm KG, bei Kleinkindern 0,27 µgkurz fürMikrogramm/kgkurz fürKilogramm KG und bei Erwachsenen 0,071 µgkurz fürMikrogramm/kgkurz fürKilogramm KG. Ein Mikrogramm ist ein Millionstel Gramm oder ein Tausendstel eines Milligramms. Im Fall der MCCP beläuft sich die errechnete tägliche Aufnahme bei Säuglingen auf 0,809 µgkurz fürMikrogramm/kgkurz fürKilogramm KG, bei Kleinkindern auf 0,333 µgkurz fürMikrogramm/kgkurz fürKilogramm KG und bei Erwachsenen auf 0,068 µgkurz fürMikrogramm/kgkurz fürKilogramm KG.
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die meisten Bedarfsgegenstände aus Gummi oder PVC in Deutschland keine Chlorparaffine enthalten. Vereinzelt wurden in fetthaltigen Lebensmitteln hohe Konzentrationen von CP nachgewiesen, die wahrscheinlich auf eine unsachgemäße Produktion oder verunreinigte Ausgangsstoffe zurückzuführen sind. Der Verzehr solcher Lebensmittel kann kurzfristig zu einer deutlich erhöhten CP-Aufnahme führen. Solange diese jedoch nicht täglich und über viele Jahre verzehrt werden, wird nach heutigem Wissensstand die Wahrscheinlichkeit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung als sehr niedrig eingeschätzt.
Nach dem Verbot der Verwendung von SCCP wurden in den letzten Jahren vermehrt mittelkettige Chlorparaffine (MCCP) in Produkten eingesetzt. Basierend auf Tierexperimenten müssen MCCP nach der Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (CLP-Verordnung, (EG) Nr. 1272/2008) mit dem Zusatz „Kann Säuglinge über die Muttermilch schädigen“ gekennzeichnet werden. Im Gegensatz zu den SCCP gibt es keine Hinweise dafür, dass MCCP Tumore erzeugen können. Es gibt allerdings Untersuchungen, die zeigen, dass einige MCCP sehr persistent und sehr bioakkumulierend (vPvB) oder persistent, bioakkumulierend und toxisch (PBT) sind. Deshalb wurden sie im Jahr 2021 nach der europäischen Chemikalienverordnung REACH als besonders besorgniserregende Stoffe bewertet; eine Aufnahme in die EU-Verordnung zu persistenten organischen Schadstoffen (Persistent Organic Pollutants, „POP Verordnung“, EU 2019/1021) wird folgen.
Der Nachweis von langkettigen Chlorparaffinen (LCCP) ist zurzeit sehr aufwändig und nur in wenigen analytischen Laboren möglich. Zu den Wirkungen der LCCP gibt es bisher nur wenige Untersuchungen und deshalb auch kaum Gefahren- oder Risikobewertungen.
Chlorparaffine sind aufgrund der hohen Produktionsmengen und der jahrzehntelangen weltweiten Herstellung eine fast überall vorkommende Stoffgruppe. Die täglichen Aufnahmemengen sind dennoch in Europa so niedrig, dass sie aus heutiger Sicht keinen Anlass zur Besorgnis geben. Die Menschen in den produzierenden Ländern China (und Indien) nehmen dagegen deutlich höhere Mengen an CP auf, da die Konzentrationen in der dortigen Umwelt wesentlich höher sind als in Europa.
Kurzkettige Chlorparaffine sind seit 2018 und mittelkettige Chlorparaffine seit 2025 als persistente organische Schadstoffe unter dem Stockholmer Übereinkommen gelistet, einer Konvention über weltweit geltende Verbots- und Beschränkungsregelungen für diese Chemikalien. Die Aufnahme der kurzkettigen Chlorparaffine in die Liste der POPs in das Stockholmer Übereinkommen bedeutet nach dem Auslaufen der Ausnahmen für die Verwendung seit 2024 ihr komplettes Verbot. Für mittelkettige Chlorparaffine gibt es befristete Ausnahmen für einzelne Anwendungen, die derzeit noch nicht ersetzbar sind. Die Entscheidung des Stockholmer Übereinkommens werden in der Europäischen Union in der EU-POP-Verordnung umgesetzt.
Da in den vergangenen Jahren viele offene Fragen geklärt werden konnten, erscheint eine Aktualisierung der EFSAkurz fürEuropean Food Safety Authority (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit)-Stellungnahme sinnvoll. So wurden weitere toxikologische Studien durchgeführt und die Analytik der CP deutlich verfeinert und neue Berechnungen zur täglichen Aufnahme von CP veröffentlicht.