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Risikokommunikation
In der zweiten Jahreshälfte setzten sich viele Medien
kontrovers mit der anstehenden Wiedergenehmigung
des Pflanzenschutzmittelwirkstoffs Glyphosat ausein-
ander. Wie ist die Abteilung mit dieser besonderen Situ-
ation umgegangen?
Wir haben transparent kommuniziert, wie wir zu unseren
Bewertungsergebnissen gekommen sind, und haben –
zum Beispiel in „Fragen und Antworten“ auf unserer Web-
site – Verbraucherinnen und Verbrauchern die Einschät-
zung des BfR verständlich erklärt. In den Medien gab es
auch mehrere schlicht fachlich falsche Meldungen, die zu
Verunsicherung geführt haben, beispielsweise zu angeb-
lichen Funden von Glyphosat in Muttermilch. Zahlreiche
Mütter haben wir am Telefon informiert und ihnen geraten,
weiter zu stillen. Positiv wurden die einfachen Vergleiche
in unserer Kommunikation zur Kenntnis genommen: Als
sich beispielsweise Nachrichten über Glyphosatrück-
stände in Bier verbreiteten, haben wir dargestellt, dass
man 1.000 Liter Bier pro Tag trinken müsste, um an einen
möglicherweise gesundheitlich bedenklichen Wert heran-
zukommen – vom gesundheitlichen Risiko durch Alkohol
ganz zu schweigen. Auch bei einem per se gefährlichen
Stoff ist es eben entscheidend, wie stark man diesem
ausgesetzt ist und wie viel man davon aufnimmt. Um Ver-
unsicherung zu vermeiden, sind seriös durchgeführte wis-
senschaftliche Studien und die sachliche Kommunikation
der Ergebnisse unerlässlich.
Welche Rolle spielt der Umgang mit Ängsten der Be-
völkerung in Ihrer Arbeit?
Ein Beispiel: Wenn man die Bevölkerung fragt, ob Reste
von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln enthalten sein
dürfen, antworten zwei Drittel der Befragten mit „Nein“. Wir
müssen also immer wieder klarstellen, dass Rückstände
von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln erlaubt sind,
diese aber nur so gering sein dürfen, dass keinerlei Ge-
sundheitsgefahr droht. Beim Rotwein sollten sich Verbrau-
cherinnen und Verbraucher tatsächlich weniger um Reste
von Pflanzenschutzmitteln Gedanken machen, sondern
eher um den enthaltenen Alkohol. Aus der Risikowahrneh-
mungsforschung wissen wir schon seit Langem, dass die
Sorge vor chemischen Stoffen viel größer als die Sorge vor
biologischen ist – oder schlicht vor Dingen, die man kennt.
Wie werden die Forschungsthemen der Fachgruppe Ri-
sikowahrnehmungsforschung festgelegt?
Einerseits widmen wir uns Themen, denen bereits große
Aufmerksamkeit zuteilwird, wie Pflanzenschutzmittelrück-
ständen oder Antibiotikaresistenzen. Andererseits be-
fassen wir uns mit Themen, die bisher weniger bekannt,
aber ebenfalls von großer Relevanz sind, wie beispiels-
weise aktuell Veganismus. In Fokusgruppen-Interviews
fragen wir bei vegan lebenden Menschen nach, warum
sie sich für diese Ernährungsweise entschieden haben
und ob sie darauf achten, bestimmte Vitamine zuzufüh-
ren, etc. Solche Analysen sind außerordentlich spannend.
Für uns ist es sehr wichtig, sich nicht nur auf die „harten“
naturwissenschaftlichen Fakten stützen zu können, son-
dern auch aus sozialwissenschaftlich erhobenen Daten
konkret zu wissen, was die Bevölkerung warum bewegt.
Daraus folgern wir, welche kommunikativen Maßnahmen
wir ergreifen müssen.
Seit wann existiert die neue Fachgruppe „Krisenprä-
vention und -koordination“, und was machte ihre Grün-
dung notwendig?
Die neue Fachgruppe wurde im April 2015 eingerichtet
und ist nicht zuletzt eine Geburt der EHEC-Krise. Für
unsere Arbeit ist es notwendig, dass im Falle einer Kri-
se in einer Organisationseinheit alle Fäden zusammen-
laufen. Die Fachgruppe soll jedoch nicht nur die Arbeit
während einer Krise koordinieren, sondern Prävention
betreiben und relevantes Wissen zusammentragen. Eine
wichtige Aufgabe ist die Betreuung unserer Stakeholder-
kontakte. In regelmäßigen Abständen führen wir nicht
nur mit Wirtschaftsverbänden, sondern auch mit Ver-
braucherverbänden, NGOs und anderen Organisationen
Gespräche, um nach Möglichkeit Krisen zu vermeiden,
bevor sie überhaupt erst entstehen.
||
”
Denn unser Auftrag lautet:
Erkläre jemand anderem Naturwissenschaft,
sodass der- oder diejenige es versteht.