BfR Jahresbericht 2013 - page 68

BfR | Jahresbericht 2013
66
Mehrfachrückstände von
Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln
„Giftcocktail in Obst und Gemüse“, „Pestizide vergiften
unser Essen“: Schlagzeilen über Rückstände von Pflan-
zenschutzmitteln führen immer wieder zur Besorgnis in
der öffentlichen Wahrnehmung – sei es wegen Rückstän-
den einzelner oder mehrerer Substanzen.
Grundsätzlich dürfen die zulässigen Rückstandsmen-
gen die Gesundheit von Verbrauchern auch dann nicht
beeinträchtigen, wenn mehrere Wirkstoffe gleichzeitig
aufgenommen werden. Die EU fordert deshalb in ihrer
Pflanzenschutz- und Biozidgesetzgebung, Mehrfach-
rückstände besonders zu berücksichtigen. Geeignete
Methoden hierfür zu entwickeln, ist derzeit eine große
Herausforderung bei der Bewertung stofflicher Risiken.
Seit 2008 hat die Europäische Behörde für Lebensmit-
telsicherheit EFSA zahlreiche Publikationen zu Aspekten
der sogenannten kumulativen Risikobewertung veröffent-
licht, wie zum Beispiel der Expositionsschätzung mittels
verteilungsbasierter Verfahren oder der Gruppierung von
Stoffen in kumulative Bewertungsgruppen.
Die kumulative Risikobewertung sollte nach dem jeweils
aktuellen Stand der Wissenschaft durchgeführt werden,
aber auch einfach und transparent sein, damit sie in Rou-
tineverfahren der regulatorischen Praxis eingesetzt wer-
den kann. Um diesem Ziel näher zu kommen, hat das
BfR im März 2013 zu einem internationalen Workshop
eingeladen. Hierbei wurden aktuelle wissenschaftliche
Erkenntnisse zu Mehrfachrückständen auf ihre Anwend-
barkeit in der regulatorischen Praxis hin geprüft. Mehr
als 50 Beteiligte aus Wissenschaft, Forschung, Behör-
den, Nichtregierungsorganisationen und der Industrie
diskutierten ihre bisherigen Erfahrungen und identi-
fizierten offene Fragen. Die Diskussionen zeigten, dass
sich nur einfach umzusetzende Bewertungsmethoden
für eine Standardanwendung bei der Festsetzung von
Rückstandshöchstgehalten und der Zulassung von
Pflanzenschutzmitteln oder Biozidprodukten eignen.
Auch die amtliche Lebensmittelüberwachung muss mit
den Methoden schnell und sicher beurteilen können, ob
eine Lebensmittelprobe mit Rückständen mehrerer Stoffe
ein gesundheitliches Risiko für Verbraucher darstellt. Un-
geeignet sind Modelle, die umfangreiche toxikologische
Informationen, die Handhabung großer Datenbestände
und komplexe Rechenvorgänge verlangen.
Als Ergebnis des Workshops hat das BfR für die Bewer-
tung von Mehrfachrückständen in der regulatorischen Pra-
xis Handlungsempfehlungen herausgegeben (s. rechts).
2014 wird das BfR ein konkretes Konzept zur Umsetzung
der kumulativen Risikobewertung in den gesetzlichen Ver-
fahren für Pflanzenschutzmittel und Biozidprodukte er-
arbeiten und an ausgewählten Beispielen erproben.
Handlungsempfehlungen zur Bewertung von Mehr-
fachrückständen von Pflanzenschutzmitteln:
1. Das kumulative Risiko sollte zunächst mittels Ad-
dition der Gefahrenquotienten (Hazard Quotient,
HQ) der Einzelwirkstoffe bewertet werden, die
dann den Gefahrenindex (Hazard Index, HI) ergibt.
Diese Methode schützt Verbraucher ausreichend
und kann bei Bedarf durch weitere toxikologische
Informationen schrittweise verfeinert werden. Der
Gefahrenquotient ist ein geeignetes Maß dafür,
wie weit der über ein Lebensmittel aufgenommene
Rückstand eines Wirkstoffs an dessen toxikolo-
gische Grenzwerte (ADI, ARfD) heranreicht.
2. Die kumulativen Bewertungsgruppen, in die Einzel-
substanzen aufgrund ihrer toxikologischen Wirkung
bislang eingeordnet werden, sollten durch zusätz-
liche Informationen zum Wirkmechanismus weiter
unterteilt werden.
3. Zur Abschätzung der kumulativen Exposition im
regulatorischen Kontext sollten vorzugsweise de-
terministische Verfahren verwendet werden.
4. Die tatsächliche kumulative Belastung von Verbrau-
chern mit Pflanzenschutzmittel-Rückständen sollte
regelmäßig anhand von Daten aus dem Lebens-
mittelmonitoring ermittelt werden.
Rückstände verschiedener Pflanzenschutzmittel können in
Lebensmitteln gleichzeitig vorkommen. In ihrem Zusam-
menwirken dürfen sie die Gesundheit von Verbrauchern
nicht beeinträchtigen.
1...,58,59,60,61,62,63,64,65,66,67 69,70,71,72,73,74,75,76,77,78,...104
Powered by FlippingBook