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Drei Jahre engagierte Arbeit für den gesundheitlichen Verbraucherschutz

16/1997, 18.06.1997

Trotz wachsender administrativer Aufgaben behält die Forschung einen hohen Stellenwert

Mit Gesetz vom 24. Juni 1994 wurde das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin durch den Bundesminister für Gesundheit errichtet. In diesen drei Jahren hat das Institut mit seiner Arbeit wesentliche Entscheidungen zugunsten des Verbraucherschutzes maßgeblich beeinflußt. Da gesundheitlicher Verbraucherschutz längst kein nationales Anliegen mehr ist, sind Erfolge immer häufiger erst das Ergebnis langwieriger Diskussionsprozesse auf der Basis harter wissenschaftlicher Daten. Eigene Forschung ist deshalb für den Direktor des BgVV ein wichtiger Garant für die Qualität der Arbeitsergebnisse. „Die Forschung“, so Prof. Dr. Dr. h. c. Arpad Somogyi, „sichert unsere Unabhängigkeit in der Bewertung und garantiert wissenschaftliche Kompetenz“. Entsprechend kritisch beurteilt Somogyi den Umfang der Aufgaben im Gesetzesvollzug, der in den vergangenen drei Jahren ständig gewachsen ist, die verfügbaren personellen Kapazitäten bindet und zu Lasten der Forschung geht.

1996 war für das BgVV ein Jahr der Konsolidierung. Die umfangreichen toxikologischen und ernährungsmedizinischen Erfahrungen des Instituts wurden erstmals in die gesundheitliche Bewertung von acht Anträgen auf Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Organismen bzw. neuartiger Lebensmittel eingebracht. Aus dem Verzehr sogenannter „Novel Foods“ dürfen für den Verbraucher weder Ernährungsmängel, noch andere gesundheitliche Risiken resultieren. Alle Anträge für die das BgVV bisher gesundheitliche Bewertungen vorgenommen hat, waren auf der Basis des Gentechnikgesetzes gestellt. Seit 15. Mai dieses Jahres wird das Inverkehrbringen neuartiger Lebensmittel und neuartiger Lebensmittelzutaten in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft durch die Novel-Foods-Verordnung geregelt. Wesentliche Fragen, wie die Kennzeichnung von Produkten, die auf der Basis des Gentechnikgesetzes im Verkehr sind, bleiben zu klären. Dennoch sieht das BgVV die Verordnung als wichtigen Beitrag zum Verbraucherschutz. Seine Arbeiten zur Entwicklung von Nachweisverfahren für gentechnisch veränderte Lebensmittel und Lebensmittelzutaten setzte das Institut im Berichtsjahr fort.

Die Sicherheit von Lebensmitteln und die gesundheitliche Bewertung von Lebensmittelkontaminanten standen 1996 in weiten Bereichen des BgVV im Mittelpunkt der Arbeit. Als Beispiel sei die Belastung von Fischkonserven mit Bisphenol-A-diglycidylether (BADGE) genannt. Das Monomer wird zur Herstellung von Lacken zur Innenlackierung von Konservendosen verwendet und kann unter bestimmten Umständen in den Doseninhalt übergehen. Auf EU-Ebene wird für BADGE eine vorläufige Höchstmenge von 1 mg/kg Lebensmittel diskutiert. Erbgutverändernde Wirkungen auf Bakterien und Zellkulturen hatten sich im Tierversuch nicht bestätigt; eine abschließende gesundheitliche Bewertung konnte aber bis heute nicht vorgenommen werden. Das BgVV empfahl deshalb, Lebensmittel, die BADGE-Gehalte von mehr als 1 mg/kg aufweisen, im Sinne des vorsorgenden Verbraucherschutzes als gesundheitlich bedenklich einzustufen. Höher belastete Produkte sind nach Ansicht des BgVV schon deshalb nicht verkehrsfähig, weil das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz vorschreibt, daß keine Stoffe auf Lebensmittel übergehen dürfen, die gesundheitlich unbedenklich, aber technisch vermeidbar sind. Daß BADGE-Gehalte unter 1 mg/kg Lebensmittel technologisch machbar sind, belegen sowohl entsprechende Untersuchungsergebnisse als auch Aussagen der Hersteller.

Ein anderes aktuelles Problem ist die Belastung von Lebensmitteln mit Ochratoxin A (OTA), einem Mykotoxin, das von Schimmelpilzen gebildet wird. Ochratoxin A hat sich beim Menschen als nierenschädigend, im Tierversuch als krebserregend erwiesen. Ochratoxin A wurde in zahlreichen Lebensmitteln und im Blut fast der gesamten europäischen Bevölkerung nachgewiesen. Getreide und Getreideprodukte zählen zu den Hauptbelastungsquellen des Menschen. Das BgVV empfiehlt die Festlegung von Höchstmengen auf EU-Ebene. Ochratoxinmengen von 3 µg/kg Lebensmittel sollten nach Ansicht des Instituts nicht überschritten werden. Für Rohprodukte zur Herstellung von Kleinkindernahrung sollte die Höchstmenge bei maximal 0,3 µg/kg liegen.

Fortschritte verzeichnet das BgVV bei der Diagnostik und Epidemiologie von Erkrankungen durch enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC). Die Bakterien können bei empfindlichen Personen zu schweren blutigen Durchfällen, insbesondere bei Kindern auch zu Nierenversagen führen. EHEC-Infektionen stellen ein lebensmittelhygienisches Problem dar. Das BgVV hat Verbraucherempfehlungen formuliert, die uneingeschränkt aufrechterhalten werden. Hierzu gehört der Rat, Roh- und Vorzugsmilch nur abgekocht zu verzehren.

Mehr Lebensmittelsicherheit wird aus einem Salmonellen-Monitoring resultieren, das unter Beteiligung des BgVV bundesweit an knapp 12.000 Schlachtschweinen durchgeführt wurde. Die Ergebnisse zeigten, daß rund sechs Prozent der deutschen Schlachtschweine mit Salmonellen kontaminiert sind. 30 Prozent der untersuchten Schlachtposten waren salmonellenbelastet, 70 Prozent unbelastet. Deutschland liegt damit im europäischen Durchschnitt. Um die Qualität der Lebensmittel gezielt zu verbessern, ist das BgVV in die Entwicklung von Kontrollprogrammen und Sanierungsmaßnahmen eingebunden.

Mit der Herausgabe eines Merkblattes zum Hazard Analysis and Critical Control Point (HACCP)-Konzept bietet das Institut Lebensmittelproduzenten eine wichtige Hilfestellung, um gesundheitliche Gefahren durch Lebensmittel sicher zu identifizieren, zu bewerten und zu beherrschen. Das HACCP-Konzept sieht die Einrichtung von Eigenkontrollsystemen in den Betrieben vor, um den Verbraucherschutz auf allen Stufen der Lebensmittelherstellung zu optimieren. Es entspricht damit der neuen bundeseinheitlichen Hygieneverordnung, die die Einrichtung von Eigenkontrollsystemen vorschreibt.

Durchaus nicht alle Gesundheitsrisiken haben ihre Ursache in belasteten Lebensmitteln. So belegen Untersuchungen des BgVV im Berichtszeitraum eine anhaltende Jodunterversorgung bei der deutschen Bevölkerung, aus der ernstzunehmende Gesundheitsschäden resultieren können. Von 780 untersuchten männlichen Jugendlichen im Alter zwischen 17 und 21 Jahren wiesen 49 Prozent einen geringfügigen, 33 Prozent einen mittleren und fünf Prozent einen erheblichen Jodmangel auf. Nur 13 Prozent waren ausreichend mit Jod versorgt. Jod ist ein essentieller Nährstoff, der für den körpereigenen Aufbau der Schilddrüsenhormone benötigt wird. Die tägliche Jodaufnahmemenge sollte rund 200 µg betragen. Das BgVV empfiehlt nachdrücklich die konsequente Verwendung von jodiertem Speisesalz im Haushalt, in der Gemeinschaftsverpflegung sowie bei der gewerblichen und industriellen Herstellung von Lebensmitteln.

Als Erfolg wertet das BgVV das EU-weite Verbot des Einsatzes von Avoparcin. Der Futterzusatzstoff war im Zusammenhang mit der Ausbildung von Resistenzen gegen sogenannte Reserveantibiotika in der Humanmedizin in die Diskussion geraten. Das BgVV hatte schon 1994 auf mögliche gesundheitliche Gefahren hingewiesen, die EU hatte die Einschätzung des Instituts damals jedoch nicht geteilt. Das BgVV hat wesentlich dazu beigetragen, andere Mitgliedsstaaten und die Kommission von einem Verbot von Avoparcin zu überzeugen. Über die Avoparcin-Diskussion hinaus sieht das BgVV insbesondere in einer unkritischen Anwendung von Tierarzneimitteln potentielle Risiken für Mensch und Tier durch die zunehmende Ausbildung von Resistenzen. Das BgVV hat deshalb zu zurückhaltendem und sorgsamem Umgang mit antibiotischen Wirkstoffen aufgefordert. Gemeinsam mit dem Bundesinstitut wird die Weltgesundheitsorganisation im Oktober dieses Jahres einen internationalen Workshop veranstalten, um die medizinischen Auswirkungen des Einsatzes antimikrobiell wirksamer Substanzen bei lebensmittelliefernden Tieren weiter zu analysieren und wissenschaftlich zu untermauern.

Der Einsatz von Pyrethroiden zur Schädlingsbekämpfung und mögliche gesundheitliche Folgen bleiben eines der wichtigen Themen, die am BgVV bearbeitet werden. Im Februar 1996 hatte das Institut die Ergebnisse einer „Klinisch-neurologischen Bestandsaufnahme zur Frage neurotoxischer Erkrankungen durch Pyrethroide beim Menschen“ veröffentlicht. Die Untersuchungen hatten weder Hinweise auf chronische Pyrethroidvergiftungen noch auf irreversible Schädigungen des peripheren und/oder zentralen Nervensystems mit kausalem Zusammenhang zu einer Pyrethroidexposition gegeben. Aufgrund der geringen Probandenzahl erlaubten die Ergebnisse nach Ansicht des BgVV aber keine abschließende Bewertung der Problematik. Ergänzende Informationen zur Frage nach den gesundheitlichen Auswirkungen von Pyrethroiden erwartet das BgVV von einer weiteren Studie, in deren Verlauf professionelle Schädlingsbekämpfer mit einer definierten Pyrethroid-Exposition untersucht werden sollen.

Im Juli 1996 hatte das Institut vor dem Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln in Anwesenheit von Passagieren und Flugpersonal im Flugzeug gewarnt. Bei einer Fachanhörung im BgVV teilten Vertreter deutscher Luftfahrtgesellschaften jetzt mit, daß deutsche Fluggesellschaften den Einsatz des Langzeitpyrethroids Permethrin im Passagierraum eingestellt haben. In Anwesenheit von Passagieren und Flugpersonal werden Schädlingsbekämpfungsmittel nur noch eingesetzt, wenn das Zielflugland die Landegenehmigung hiervon abhängig macht. Passagiere und Flugpersonal werden in diesen Fällen grundsätzlich informiert. Die Teilnehmer des Fachgesprächs wollen erreichen, daß auf den Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmittel in Gegenwart von Passagieren und Flugpersonal langfristig völlig verzichtet wird. Die Suche nach alternativen Schädlingsbekämpfungsformen soll die Durchsetzung dieser Forderung auf multilateraler Ebene erleichtern.

Die Chemikaliensicherheit war auch 1996 ein wesentlicher Arbeitsschwerpunkt am Bundesinstitut. Über zwei neue methodische Ansätze soll an dieser Stelle berichtet werden: Reizende und ätzende Stoffwirkungen sollen künftig mit Hilfe eines mathematischen Systems aus Struktur-Wirkungs-Daten vorausgesagt werden. Das System wird derzeit am BgVV entwickelt und geprüft. Durch den Einsatz ließe sich die Zahl der heute noch erforderlichen Tierversuche reduzieren. Die bessere Erfassung immuntoxischer Wirkungen von Chemikalien ist das Ziel eines Ringversuches, in dem neue Untersuchungsparameter auf ihre Aussagekraft untersucht werden. Die Erkenntnisse aus diesen Untersuchungen sollen in eine Richtlinie der Europäischen Union eingebracht werden, um auf diesem Gebiet einen besseren Verbraucherschutz zu bewirken.

Als vielversprechend hat sich ein in-vitro-Test erwiesen, mit dem die akute Phototoxizität von chemischen Stoffen, d.h. das Auftreten toxischer Symptome an der lichtbestrahlten Haut nach einmaliger Aufnahme oder nach Behandlung mit diesem Stoff, nachgewiesen werden kann. Bisher wird die Wirkung an Meerschweinchen, Kaninchen, Ratten oder Mäusen überprüft. Die Ergebnisse der Tierversuche unterscheiden sich häufig deutlich von den Erfahrungen am Menschen. Der in-vitro-Phototoxizitätstest wird im Rahmen eines internationalen Validierungsprojektes der EU und des Europäischen Verbandes der Hersteller von Kosmetika getestet und von der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch, ZEBET, am BgVV koordiniert. Nach Abschluß der Studie soll versucht werden, die internationale Anerkennung des Tests als Standardtest zu erreichen.

Die hier aufgeführten Themen stellen nur einen Ausschnitt aus der vielfältigen Arbeit des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin dar. Über zahlreiche weitere Arbeitsschwerpunkte und Forschungsvorhaben informiert der Tätigkeitsbericht 1996, der im MMV Medizin Verlag München und im Buchhandel zum Preis von DM 68,-- erhältlich ist.

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